100 Euro, Schlepper und die GlücksritterDie moralischen Rechtfertigungen für das Geschäft der NGO’s, die vor der afrikanischen Küste das Mittelmeer auf der Suche nach Schlauchbooten durchkämmen, sah bisher verkürzt gesprochen folgendermaßen aus: Die Menschen fliehen vor Krieg und Verfolgung aus ihren Ländern, landen dann auf den Sklavenmärkten krimineller libyscher Warlords um von dort auf Gummiboote verfrachtet zu werden, auf das sie im Mittelmeer ersöffen. Wären da nicht gutherzige deutsche NGO’s mit deutschen Pop-Opas im Londoner Edel-Exil als Gallionsfiguren, die den Schleppern das Leben schwer machen, indem sie die Menschen aus eben der Seenot retten, in die die Schlepper sie auf ihren $700-Ali-Baba-Gummibooten gebracht haben. Die schifflos Brüchigen zurück nach Tripolis zu bringen, sei ein Ding der Unmöglichkeit, schließlich drohen dort erneut Sklaverei und Ausbeutung. Also ab nach Norden ins beste Europa, das wir je hatten. Soweit, so schlüssig. Allerdings nur, wenn man die klitzekleine Wahrscheinlichkeit strikt ablehnt, das Schleppergeschäft könne womöglich doch aufgrund der Gesetze des Marktes ganz anders laufen und vielmehr von Angebot, Nachfrage und Chance getrieben sein – wenn auch in diesem Fall auf eine perverse und menschenverachtende Weise.

Keinen Augenblick jedoch bin ich bereit, das zu glauben, was die Retter-NGO’s als gegeben annehmen. Nämlich, dass die Menschen, die sie da regelmäßig in Küstennähe aus den seeuntüchtigen Gummibooten ziehen, nicht wissen, auf welches Risiko sie sich da eingelassen haben. Informationen zu Chancen, Reiserouten, Entfernungen, offenen Grenzen und Telefonnummern von willigen Helfern verbreiten sich via Smartphone in Afrika ebenso schnell, wie überall in der Welt. Doch nun hat sich die Route von Libyen nach Marokko verlagert, was die NGO’s in ein argumentatives Dilemma bringt. Zum Glück haben unsere Medien, die öffentlich-rechtlichen vorneweg, noch nichts davon bemerkt. Anderenfalls wäre folgende Reportage am 9.8.2018 beim DLF wohl kaum über den Sender gegangen.

Spanien-Marokko vs. Marokko-Spanien

„Grenzsicherung in Spanien“ heißt der Beitrag, der leider nicht in Textform, sondern nur als Audio vorliegt (warum eigentlich). Er befasst sich auch mit der Tatsache, dass sich das planmäßige „in Seenot geraten“ von Libyen nach Marokko verlagert hat. Statt also mit Flammenwerfern und Brandkalk auf die Sicherheitskräfte einer kleinen spanischen Exklave losgehen zu müssen, sticht man heute mit „Booten“ von der marokkanischen Küste aus in See, um teils sogar aus eigener Kraft die Küste Andalusiens zu erreichen. Wir alle kennen die verstörenden Videos, in denen 50 oder mehr Migranten an einem kleinen Badestrand aus Booten springen, um sich an den mit offenen Mündern auf ihren Handtüchern liegenden Urlaubern vorbei in die Büsche zu schlagen. Doch weiter beim DLF.

„Immer mehr Menschen kommen in Spanien an, seit Italien dicht gemacht hat!

Ja, Italien ist in der Tat „dicht“, nachdem es jahrelang sehr „undicht“ war. Das könnte daran liegen, dass man dort aktuell versucht, zunächst mal mit der Bereicherung fertig zu werden, die dem Land bereits geschenkt wurde. Geschenke mit Nebenwirkungen übrigens. Wenn auch der Name „Schwarze Axt“ den deutschen ZDF-Guckern unbekannt sein dürfte, wissen die Italiener mittlerweile ganz gut, was sie an ihrer „Fünften Mafia“ haben. Denn seit es dieses nigerianische Kulturinstitut geschafft hat, sich neben „Cosa Nostra“, „Ndrangheta“, „Camorra“ und „Sacra Corona Unita“ in Süditalien zu behaupten, ist es endlich nicht mehr so monochrom in der Welt der Kriminalität Italiens. Doch zurück zum DLF und an die Mole von Tarifa, dem südlichsten Zipfel Spaniens.

„Das Bild an der Hafenmole von Tarifa hat etwas Surreales. Rechts liegt ein großes Fährschiff […] das Touristen dorthin bringt, wo die Flüchtlinge herkommen. Links lungern mindestens 150 Flüchtlinge an der Hafenmole herum, reihen sich jetzt ein, um ein kleines Lunchpaket von der Guardia Civil in Empfang zu nehmen. Auch Waldemar aus der Elfenbeinküste steht in der Reihe…“

Da staunt der Fachmann und der Laie wundert sich. Aus der Elfenbeinküste kommt Waldemar? Ging es dort nicht seit 2007 wieder aufwärts? Ich werde hier sicher keine Hymnen auf dieses Land anstimmen. Es gab einen blutigen Bürgerkrieg, das Land war geteilt, es ist stark abhängig von seiner Landwirtschaft, es gibt Kinderarbeit in geradezu ekelhaftem Ausmaß – besonders bei der Produktion des Hauptexportgutes Kakao. Verglichen mit dem Rest Westafrikas hat die Elfenbeinküste aber auch mit Sicherheit die größten Entwicklungschancen. Was macht der Ivorer Waldemar also in Spanien? Was war es, dass ihn zunächst nach Marokko trieb? Hören wir ihm genau zu.

„Wir hatten Freunde, wir haben es mehrfach versucht. Um das Geld für die Überfahrt zu bekommen, haben wir in der Heimat angerufen. Dann haben die Geld geschickt und wir haben immer mal wieder 100 Euro gezahlt. Dann haben wir das Material gekauft und sind gestern rüber gekommen.“

Das Geschäft der Schlepper – eine Frage der Mathematik

Zuhause anrufen, um Geld anzufordern? Immer mal wieder 100 Euro? Keine Auskunft, wie oft „immer mal wieder“ ist und wieviel insgesamt gezahlt wurde. Kein Wort auch zu der drängenden Frage, wie leicht oder schwer man in einem Land wie der Elfenbeinküste, wo das BIP pro Kopf und Jahr $1.500 beträgt, „immer mal wieder“ 100 Euro nach Norden schicken kann. Der Anteil der Ivorer, die von nicht mehr als $2 am Tag ($730 pro Jahr) und somit unter der Armmutsgrenze leben müssen, liegt bei 42%! Es gehört nicht viel Mathematik dazu, sich auszurechnen, welcher gesellschaftlichen Schicht Waldemar und seine Familie in der Heimat zugehörig sind und wie sehr Waldemar zur „Flucht“ gezwungen war, wenn seine Familie ihm „immer mal wieder“ 100 Euro hinterherschicken konnte. Machen wir einen kleinen Vergleich mit Deutschland unter Berücksichtigung der Kaufkraftparität. Denn $1.500 sind nicht überall soviel wert, wie in den USA.

Die Bürger der Elfenbeinküste haben eine durchschnittliche paritätische Kaufkraft von $3.600. Beim aktuellen Dollarkurs entsprechen 100 Euro demnach 3,2% des Jahreseinkommens eines Ivorers – im Mittel natürlich, allein 42% haben kaum ein Fünftel davon. Das Deutsche BIP nach Kaufkraftparität beträgt $50.500 im Durchschnitt. Nur um sich vorstellen zu können, welche Summen der Ivorer Waldemar „immer mal wieder“ von zu Hause erhalten hat: die Familie eines Waldemar aus „Pusemuckel bei Kartoffelacker“ müsste dafür jedes Mal $1.600 oder 1.400 Euro überweisen. Überlegen sie kurz, liebe Leser, ob sie das „immer mal wieder“ für ihren Waldemar tun könnten und auf welcher Seite des Schlauchbootes sie demzufolge stehen würden. Wohin würden sie fliehen, wenn sie „immer mal wieder“ 1.400 Euro entbehren können? Könnten sie es sich leisten, ihrem Waldemar ein besseres Leben zu ermöglichen oder müssten sie ihm stattdessen solange an den Ohren ziehen, bis er den Schichtdienst in der heimischen Schokoladenfabrik aufnimmt? Wie groß mag die moralische Verpflichtung von Ländern wie Spanien, Frankreich oder Deutschlands sein, diesem Waldemar zu helfen, wenn dort viele Menschen kaum mehr pro Monat zur Verfügung haben, als eben jene „hinterhergeschickten“ 1.400 Euro – oft sogar deutlich weniger?

Schokoladenmächte

Man darf sich also fragen, zu welcher Kategorie Flüchtling unser Waldemar wohl gehören wird. Vielleicht floh er vor Krieg und Einberufung? Nein! Die Elfenbeinküste mag für uns kein wonnevoller Ort sein – außer für das BMZ, dass überschwängliche Noten verteilt und vom schicksalhaften Zusammenwirken der „Schokoladenmächte“ faselt: Deutschland als Weltmeister im Verbrauch von Kakao und der Elfenbeinküste als Weltmeister bei dessen Erzeugung. Krieg herrscht dort aber nicht. Gehört Waldemar womöglich zu der von Katrin Göring-Eckard neu entdeckten Spezies der Klimaflüchtlinge, denen wir in Europa aus Schuldgründen und überhaupt und sowieso vor Dürre und Erderwärmung Zuflucht und Vollpension bieten müssen? Leider auch nicht, denn die Tropen sind dort so tropisch wie eh und je, die Kakaobäume wachsen, umschmeichelt vom Passatwind in den Himmel, der Kaffee reift in morgenkühler Bergluft und Wüsten gibt’s auch keine. Nicht mal Windräder haben die, denen der Wald geopfert werden müsste – noch nicht, jedenfalls. Denn das Entwicklungsministerium gibt Millionen für die Förderung erneuerbarer Energien in der Elfenbeinküste aus. Wurde Waldemar womöglich religiös verfolgt, unterdrückt oder sonst irgendwie unfair behandelt? Keine Rede davon, denn weiter im DLF-Text heißt es:

„Waldemar ist Automechaniker, ohne Ausbildung […] seine Motivation ist klar, er sucht ein besseres Leben um seine Leute zu Hause zu unterstützen.“

Damit das klar ist: Daran ist nichts Ehrenrühriges! Jeder Mensch auf diesem Planeten sollte das Recht haben, sein Glück zu machen. Kann er das nicht in seinem Heimatland, dann darf er es gern woanders versuchen. Waldemar möchte nach Frankreich und wenn Frankreich händeringend nach ungelernten Automechanikern sucht, warum sollte es dann nicht Waldemar zu sich holen? Die Frage ist nur: was hat Spanien damit zu tun? Was berechtigt Waldemar dazu, ganze Heerscharen von freiwilligen „Helfern“ in den Dienst der Verwirklichung seines Traums vom „besseren Leben in Europa“ zu stellen und wem helfen diese Helfer eigentlich? Waldemar, der kein Arbeitsangebot in Frankreich hat oder Frankreich, dass keine ungelernten Automechaniker sucht? Oder, noch etwas provokanter formuliert:

Die europäische Entwicklungshilfe meldet seit Jahren große Erfolge. Überall gehe es immer nur aufwärts, die Wirtschaft komme voran, eine Mittelschicht bilde sich, die Bildungschancen nähmen zu. Gerade die Elfenbeinküste wird immer wieder genannt, wenn es um die positive Entwicklung in Afrika geht. Und dennoch sind das erste, was sich der Mittelstand dort vom erworbenen Geld kauft, ein Koffer und die Dienste eines Schleppers, der sie nach Europa bringt! Wie wirksam oder sinnvoll ist diese Entwicklungshilfe eigentlich?

Am Ende bekommt der DLF natürlich die Kurve zur Willkommenskultur und vermeldet, vergessend, dass er uns gerade sehr erhellende Informationen gegeben hat: „Schließlich galt und gilt es, Menschen vor dem Ertrinken zu retten.“ Das ist mal sicher. Ebenso sicher übrigens wie die Tatsache, dass die „Fähren voller europäischer Touristen“, von denen im Beitrag die Rede war, stets sichere Häfen im Sinne des Seerechts anlaufen werden, wenn sie nach Marokko auslaufen. Das wäre dann schon der zweite Mythos der Retter-NGO’s, der dem Tageslicht nicht standhält. Weder handelt es sich um Flüchtlinge, egal nach welcher nur erdenklichen internationalen Definition, noch brächte sie deren Ausweisung in Lebensgefahr. Ein Anruf in der Heimat bringt schließlich „immer mal wieder“ 100 Euro und die freundlichen Europäer übernähmen sogar die Kosten für die Heimreise.

Das mag zynisch klingen, aber ich will gern nochmal auf meinen Satz von weiter oben verweisen. Jeder soll das Recht haben, für sich und die seinen ein besseres Leben zu finden, sein Glück zu machen. Versucht er dafür jedoch, Vermögen und Leistungen anderer zu requirieren, ist er nichts als ein Glücksritter. Lässt man ihn gewähren, etabliert man ein Geschäftsmodell, in dem die Glücksritter immer wagemutiger werden. Setzt man dem Treiben klare Grenzen, ist man auf dem Weg, ein echtes Einwanderungsland zu werden. Ein solches Land hätte im Zeitalter von Internet, Google und Smartphone die Möglichkeit, den Waldemars überall auf der Welt bereits in ihrer Heimat zu zeigen, welche Chancen sie haben, in Europa als ungelernter Automechaniker Arbeit zu finden.

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9 Kommentare

  1. Hallo Bruederle, das setzt allerdings voraus dass der kleine Michel sein Geld mit eigener Hände Arbeit verdient. Er ist aber wohl eher ein „Aktivist“. Und das heißt er wird vom Staat gepampert und bekommt das von ihnen verdiente Geld hinterher geworfen.

  2. Ja Michael Lang, das frag ich mich auch: Warum nur, warum. Aber gut, seit Roger Letschs Frage sind ja auch erst 11 Stunden nochwas vergangen. Und wenn Sie nicht der allerschnellste sein sollten, dann würde sich eigentlich auch unsere Fragerei erledigt haben. Gelle?

      • Vielleicht hatte er gehofft, dass der Artikel eine Wiederauflage von Charlie und der Schokoladenfabrik ist, und hat sich, in seinem kindlichen Gemüt, dann so sehr darüber geärgert, dass er eingekackt hat, und findet dies nun peinlich?

        • Vielleicht meint er ja auch den Radio-Beitrag, auf den ich mich beziehe. Manchmal liegt in der Kürze ja nicht die Würze, sondern das Missverständnis. 😉

    • Dieser erhellende Artikel ist kein Jota peinlich. Peinlich sind die dummen Michels hierzulande, die einfach nicht merken wollen (möglicherweise es auch nicht können), daß Spitzbuben seit Jahren dabei sind, ihm das Fell über die Ohren zu ziehen, er das mit seiner Hände Arbeit verdientem Geld auch noch zwangsweise mitfinanziert und sich dann hinstellt und Leute, die versuchen, ihm dieses persönliche Manko moderat aufzeigen zu wollen und es auch sachlich fundiert können, auch noch der Peinlichkeit zu bezichtigen.
      Mit Lern- bzw. Einsichtsfähigkeit hat das sehr wenig zu tun, kann aber als mögliche Erklärung dessen dienen, was mit den Michels und Michelinen seit zig Jahren so ungestraft verunstaltet wird.

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