Lange ging ich davon aus, dass der woke Zeitgeist sich nur an solchen Dingen vergreift, die sich mit den Parolen von Gleichheit, Weltrettung und Genderfluidität nicht vertragen. Also mit solch profanen Sachen wie eine gesicherte Stromversorgung, industrieller Wertschöpfung im Inland oder dem allgemeinen Empfinden von Sicherheit. Doch da lag ich wohl falsch, denn zumindest in Hannover sind selbst solche Projekte von der Abrissbirne bedroht, die seit Jahrzehnten zum festen Bestandteil dessen gehören, was man früher wohl mal unter dem Begriff „Gelegenheit zu Austausch und Völkerverständigung“ gefeiert hat.

Kurz: das Masala-Festival hat es in diesem Jahr zum letzten Mal gegeben. Masala, das war wie das gleichnamige Gewürz eine exotische Mischung, in diesem Zusammenhang der Kulturen, denn die Gründer des Festivals, Gerd Kespohl und Christoph Sure, brachten seit 1995 Künstler aus aller Herrn Länder auf die Bühnen Hannovers. Ob Reggae, Folk, lateinamerikanische Klänge, Lieder aus Afrika oder Musik, die heute nicht mehr Zigeunermusik heißen darf – alles war vertreten und fand ein zahlreiches und dankbares Publikum.

Mit Eifer dabei waren Kespohl und Sure immer mit dabei, organisierten und sagten die Künstler an. Die beiden legten ihre ganze Begeisterung in das Projekt, welches ein durch und durch linkes war, auch wenn das nie explizit gesagt wurde. Es stammt aus einer Zeit, als das „exotische“ noch etwas Gutes war und man den ungenießbaren Tee aus dem Weltladen noch mit einem „ist doch für die gute Sache“ runterschluckte. Die Hannoveraner freuten sich über das Treiben, kamen sie doch (gegen Eintritt, versteht sich) in den Genuss von Musik, die sie sonst nicht oft zu hören bekamen. Den Künstlern die Gagen, den Menschen die Musik, der Stadt ein festes Ereignis im Veranstaltungskalender.

Doch dann verabschiedeten sich Kespohl und Sure in den Ruhestand und in diesem Jahr fand (nach zwei Jahren Corona-Zwangspause) das letzte Masala-Festival statt. Um eines gleich vorwegzunehmen: nicht Corona hat die Veranstaltung gekillt, das übernahm der durchgeknallt-woke Zeitgeist in Gestalt der neuen Organisatorinnen.

Statt Masala: „Lieber etwas Eigenes und Neues machen“

Die HAZ titelt „Lieber etwas Eigenes und Neues machen“ und ergänzt „Das Masala-Festival ist Geschichte – auch, weil das verjüngte Team im Pavillon andere Vorstellungen hat. Ein Gespräch über alte Zöpfe und neue Perspektiven des Kulturzentrums.“

Susanne Müller-Jantsch und Anna Rießen heißen die neuen OrgansiatorInnen und sie ahnen es schon, liebe Leser: im Genderunterricht haben beide gut aufgepasst.

HAZ: „Es war das 25. und letzte Masala-Festival. Warum ist es zu Ende?“

Anna Rießen: „Da kam viel zusammen. Wir sprechen seit Jahren darüber, ob wir alle noch glücklich mit dem Festival sind. Mit dem Weggang von Christoph Sure und Gerd Kespohl haben wir gemerkt, dass es für ein solch großes Projekt Menschen braucht, die mit voller Leidenschaft dahinter stehen – und dass wir als junges Team, das das Festival nicht konzipiert hat, diese Leidenschaft nicht in diesem Maße aufbringen. Wir wollten das Festival ehrenvoll verabschieden, aber lieber etwas Eigenes und Neues machen.“

Susanne Müller-Jantsch: „Gerd und Christoph hatten damals eine offene Welt vor sich und haben Masala neu erfunden. Die Chance, was Neues zu erfinden, sollen jetzt auch die Jüngeren haben.“

Der neuen Generation fehlt es also an Leidenschaft für Etabliertes. So geht es heute nicht nur Autobauern, sondern auch Veranstaltern.

HAZ: „Hatte die aktuelle Diskussion um kulturelle Aneignung etwas damit zu tun?“

Rießen: „Wir sind der Meinung, dass das Genre Weltmusik in dieser Form nicht mehr existent ist. Die Künstlerinnen und Künstler hier zu veranstalten, ist meiner Meinung nach noch nicht unbedingt problematisch. Eher die Art und Weise, wie man drüber spricht und welche Leute kommen. Unser Publikum ist in erster Linie eher weiß und finanziell gut ausgestattet.“

Die Katze ist aus dem Sack, wie man so sagt, und zeigt nun ihre Krallen. Das finanziell gut ausgestattete Publikum war das Problem in Hannover. Müller-Jantsch, die wohl begriffen hat, welche Entgleisung da gerade zu hören war, relativiert die Aussagen zuächst:

„Dieses Stammpublikum ist eine sehr wichtige Zielgruppe für uns und ein treues Masala-Publikum.“

Nur um dann doch noch in die woke Richtung abzubiegen:

„Dennoch ist wichtig, auch ein diverses Publikum anzusprechen.“

Nicht divers genug, diese Hannoveraner! Der Vorwurf der Unterstützung der „kultuellen Aneignung“ an die Gründer kam ja bereits zur Sprache und weil die nicht ohne ihr ideologisches Fundament, den allgegenwärtigen Rassismus auskommt, legt Rießen nach:

„Wir müssen in unserer Arbeit sensibel sein und beispielsweise darauf achten, dass Konzerte keinen exotisierenden Faktor haben. Das kann schnell passieren, wenn ein ausschließlich weißes Publikum einem schwarzen Künstler oder einer schwarzen Künstlerin auf der Bühne zuschaut.“

Die Spucke bleibt einem weg bei solchen Äußerungen. Schwarze Künstler vor weißem Publikum? Geht gar nicht! Das ist Apartheid in ihrer reinsten Form. Die vermisste „Diversität“ entpuppt sich als erträumte Rassentrennung. Nicht diversifizieren, sondern dividieren ist das neue Motto! In jedem kompromisslosen Verfechter der Diversität steckt offenbar ein Rassist, das an die frische Luft will.

Das scheint auch der HAZ etwas zu rassistisch zu sein, denn man bittet um Einordnung: „Aber das war doch mal der Zweck: einem hannoverschen Publikum, das bunt sein kann, aber nicht muss, Konzerte aus anderen Kulturen zu bescheren, die sie sonst nicht erleben können. Das hat der Pavillon erst ermöglicht.“

Müller-Jantsch, ganz Ausbüglerin für ihre jüngere Kollegin: „Das war der erste Schritt, unbekannte Musikkulturen zu präsentieren. Der zweite Schritt war dann der kulturelle Austausch, das Kennenlernen kultureller Techniken. Durch Masala ist vieles mit initiiert worden, beispielsweise im Zentrum für Weltmusik in Hildesheim.“

Doch was nützt es, vergangene Erfolge zu betonen, wenn sie heute nichts mehr gelten, weil die Veranstalter der Meinung sind, nun „den nächsten Schritt“ tun zu müssen. Auch lässt sich Anna Rießen so leicht nicht die Butter vom Weißbrot nehmen:

„Der Kontext ist das Problem. Die Menschen hier im Haus brauchen ein Projekt, für das sie brennen. Es ist schwierig, wenn man etwas von zwei Menschen, die aus einer ganz anderen Generation kommen, einfach übernimmt.“

Hier dürfen wir den Gestaltungswillen der Generation Klebekind in all seiner Pracht bewundern. Alles muss zerschlagen werden, nichts hat Bestand, nichts ist es wert, bewahrt zu werden, an nichts Ererbtem erprobt sich die Kraft, vielleicht weil sie instinktiv merkt, dass die Stiefel zu groß sind und deshalb achtlos weggeworfen werden. Hineinwachsen? Kein Interesse! Alles muss ausgerissen, weggeräumt, überwunden werden. Mao wäre stolz!

Jetzt kommt die Verzweiflung bei der HAZ hoch. „Der Pavillon ist mal für das Miteinander, das Verbinden der Kulturen angetreten.“

Rießen: „Das ist auch immer noch so, aber wir sind ein reflektierendes Team. Wir wissen, dass wir beide auch jetzt hier als Vertreterinnen einer weißen Mittelschicht sitzen. Wenn ich einen Text über eine Wassoulou-Musikerin aus Mali schreiben soll, habe ich keine Ahnung, welcher Spirit hinter dieser Musik steckt. Wir stoßen da schnell an unsere Grenzen, das ist sehr sensibel.“

Mit dieser Einstellung hätte das reflektierte Team aus der weißen Mittelschicht auch eine Kolonie in der Region Wassoulou leiten können. Mit wenig Ahnung, viel Spirit und der übergroßen Gewissheit der eigenen Überlegenheit.

Man ahnt die Träne, die im Auge des HAZ-Fragers steht: „Verstehen Sie es nicht als Ihren Job, vor allem durch möglichst viel Werbung die Möglichkeiten zu schaffen, dass die Menschen in die Konzerte gehen und sich ihr eigenes Bild machen können?“

Doch Aufseherin Rießen hat kein Erbarmen mit dem Besucher ihrer Plantage: „Ich weiß nicht, was vorher mein Job gewesen wäre. Ich verstehe meinen Job nicht so. Natürlich sollen die Menschen kommen, aber ich sehe es als meine Aufgabe, Texte so zu formulieren, dass sich nicht wieder nur das klassisch weiße Publikum angesprochen fühlt. Der Anspruch des Hauses ist es nicht, dass die Konzerte nur voll sind. Uns ist es wichtig, ein möglichst breites Publikum anzusprechen.“

Wie aber will Rießen „ein breiteres Publikum“ und nicht nur das „klassisch weiße“ ansprechen, wenn sie bekennt, keine Ahnung von fremden Kulturen zu haben und offenbar auch ihre Aufgabe nicht darin sieht, dieses Defizit zu beseitigen? 25 Mal war das Festival gut besucht, die Konzerte voll und plötzlich kommt eine Organisatorin, für die Besucherzahlen keine Rolle spielen, weil es die „falschen“ Besucher waren. Nicht volle Hallen will Rießen haben, sondern einfach ihr Ding machen.

HAZ: „Haben Sie es zuletzt nicht mehr geschafft, diese Leute gezielt anzusprechen?“

Müller-Jantsch: „Wir erreichen sie, und wir erreichen sie immer besser, weil wir selber immer diverser aufgestellt sind. Darauf achten wir bei der Stellenbesetzung. Und wenn wir Räume direkt an die Communities vermieten, dann wird es auch voll.“

Die „Communities“ sollen also unter sich bleiben. Schön getrennt nach Hautfarbe, kulturellem Background und Geschmack. Es lebe die Parallelgesellschaft, die sich natürlich immer diverser aufstellt! Und dann hat Rießen noch einen Gedanken beizutragen, mit dem ich die Zitate beenden möchte. Denn was wir da gleich lesen dürfen, ist eindeutig das finale furioso:

„Auf dem Weltmarkt (einer Art Jahrmarkt, der immer zum Abschluss des „Masala“ stattfand, Anmerkung. d. A.) beispielsweise haben wir ein ganz anderes Publikum als in den Konzerten. Man kann einfach hingehen und muss nichts bezahlen. Ticketpreise und das Betreten vermeintlich hochkultureller Einrichtungen können eine Hemmschwelle für Menschen mit Migrationserbe sein.“

Das Betreten von „hochkulturellen Einrichtungen“ als Hemmschwelle für Menschen mit Migrationserbe. Schöner und verächtlicher kann sich der Rassismus der gesenkten Erwartungen nun wirklich nicht zur Geltung bringen!

Und sonst so?

Jetzt, da die Wassoulou- und Gipsymusiker aus dem Weg sind, kann man so richtig divers werden! Etwa eine Veranstaltungsreihe mit britischen Fusion-Jazz auflegen oder das Multitude-Festival für feministische und intersektionale Solidarität durchführen. Das wird sicher so toll wie ein weiteres Festival im Mai 2023 für postkoloniale und migrantische Perspektiven. Solange alles nur hübsch geordnet in Schachteln stattfindet, wie auch die „Blaue Zone“, die sich an „Menschen ab 55“ richtet. Dort kann man sich im Sommercamp über gutes Leben im Alter austauschen. Was die Alten halt zu interessiert hat, wenn man sie aus der Sicht woker Diversity-Expertinnen betrachtet. So sieht es aus, wenn der woke Zeitgeist in Hannover Gold vorfindet und es zu Stroh spinnt.

Mach’s gut, altes „Masala“ Festival, dein Publikum wird dich vermissen. Hannover wird dich vermissen. Die Künstler werden dich vermissen. Doch die Veranstalter waren nicht mehr glücklich mit dir. Nach 27 Jahren ist nun Schluss, denn die Zuschauer waren zu wenig divers, zu wohlhabend und zu weiß.

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11 Kommentare

  1. Warum gibt es bei sogenannter Weltmusik nie zackige Märsche aus Preußen?
    Gehört(e) doch auch zur Welt.

  2. Ich denke, der wahre Grund ist, daß den beiden Figuren mit den drei Nachnamen beim Versuch, das Festival weiterzuführen, ihr intellektuelles Defizit schmerzhaft augenfällig wurde.
    Ihnen wurde klar, daß sie mit ihrer Ausstattung das Festival nur an die Wand fahren würden. Deshalb machen sie jetzt was auf tik-tok und twitter-Niveau, aber voll krass divers und so.
    Und die Begründung dazu in plattestem Soziologenrotwelsch ventiliert.

  3. Was sind Leute, die in ihrem Kopf Menschen nach Ethnien und Hautfarbe einteilen und dies ständig in Meinung, Aktionen oder Quoten einfließen lassen, als ginge es darum, einen Menschenzoo mit allen möglichen Arten auszustatten? Ich würde sagen, es sind Rassisten.

  4. Naja. Dieser Wort-zu-Wort-Kommentar ist von Anfang an ziemlich aggressiv. Wir haben in Winterthur in der Schweiz auch ein „Afro-Pfingsten-Festival“. In Ländern in denen es noch nicht so lange her ist dass Menschen aus Kolonial- Gebieten im Zoo ausgestellt waren, ist es wichtig die Begegnung mit anderen Kulturen immer wieder zu reflektieren. Bei jeder Aussage nach „falschen“ Konnotationen zu suchen finde ich ziemlich kontraproduktiv

    • Die Aggressivität speist sich aus dem rassistischen Unterton der Motive, die zur Absage des Festivals führten. Die müssen Ihnen wohl entgangen sein, trotz aller Reflektion. Und wo die Produktivität dank Absage Vergangenheit ist, kann man wohl kaum noch kontraproduktiv sprechen. 😉

  5. Eine sowohl großartige wie traurige Lesung. Danke.

    Was für ein peinliches Führungs-Duo.

  6. Nach dem letztjährigen Masala-Skandal um die kulturelle Aneignung von Würzen und Wertsachen von Wilden, laden wir mit einem Team aus ehemaligen Documenta-Organellen zur „Palästensa 2023 – Licht aus für Gierige“.

    Spekulanten, Vermieter, Bänker und Freiwildkapitalisten treiben die Inflation in die Höhe! Das lassen wir uns nicht mehr bieten! Unsere Kunst steht für Klima, Frieden in Nahost, soziale Gerechtigkeit, sexuelle Selbst- und Fremdbestimmung, Vagina-Skulpturen, Entstigmatisierung von Geisteskrankheiten und Prostitution. Wir machen Lust auf Konsumkapitalismusgesellschaftskritikgenörgel! Der Imperialismus muss sterben, damit wir leben können!

  7. Es liegt am Mangel. Nicht? Also am Mangel des Mangels; diese total bescheuerten Wokefrauen leiden keinerlei materiellen Mangel und ahnen nicht im Allerentferntesten wie oder für wen Mangel sein oder wirken könnte!, sei es materieller, finanzieller oder kultureller Mangel – um zu erfahren was der wäre und WO er sich schon breitmacht oder gar wie man ihn verhindert sind sie zu doof, zu ideologisch, zu total bescheuert und zu verspießt.

    Na merkwürdig, dieses olle Wort aus den Siebzigern, „verspießt“, kommt nun auch wieder hoch. Es war schon in den Siebzigern doof und ist nun um so dööfer. Muss wohl am Mangel des Mangels liegen.

    P.S. Übrigens, Albert Mangelsdorf wird sich um Grabe umdrehen.

    • Der gute Albert Mangelsdorff, Erfinder des mehrstimmigen Solo-Posaunen-Spiels, eine Ehre für jeden Posaunisten (…und so auch mir!)
      Nach einem all-inclusive-Urlaub kann man beileibe nicht behaupten, Südamerika besucht zu haben. Letztlich wohl ein Mangel an Weltsicht, die sich durch große soziale Wortstanzen in ihrer Provinzialität verbergen möchte. Nichts ist doofer wie Hannover sagt der Hannoveraner (also auch ich), Hangover in Hannover!
      Sehr fein und gefühlvoll einfühlsam herausgearbeitet, die oben dann auch bemängelten sogenannten „Konnotationen“ dieser ach so provinziellen Sentenzen lieber Herr Letsch!!
      Der olle alte weiße Mann sucht sich, nachdem das Projekt gut läuft eine weitere Aufgabe, die junge olle alte weiße Frau sortiert alles um und schmeißt dann indifferent vieles weg. Sind beide miteinander „verheiratet“ hält sich der Schaden zumeist in Grenzen… siehe dazu gern auch beim Vorstand der Linken…
      und Übrigens 😉
      (wer Hannover ein bisschen besser verstehen will sollte sich mal über die riese SPD-Bauruine, Verbrechensbrennpunkt und Hort des Elends, das Ihme-Zentrum informieren)

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