Man wollte den eigenen Ohren nicht trauen, als die Präsidentin des deutschen PEN am 8.7.2020 in Interview mit dem Deutschlandfunk (nur Audio, das Interview wurde nicht transkribiert) bestätigte, es gäbe da schon irgendwie doch mittlerweile Probleme mit der Meinungsfreiheit bei uns und vielleicht hätte man es ja wirklich übertrieben mit dem, was der Volksmund Zensur, PC oder „cancel culture“ nennt. Anlass der schriftstellerischen Selbstkritik war der offene Brief amerikanischer Schriftsteller, Journalisten und Autoren im Harpers Magazine veröffentlicht hatten.
Deutschlandfunk-Moderatorin Anja Reinhard bestätigte in der Anmoderation so ganz nebenbei meine These, dass die Spannkraft der Sprecher des Senders über den Tag nachlässt. Denn während morgens dank glottalem Plosiv das Binnen-I nur so durch die Luft knallt, verschleift sich das zum Nachmittag hin fast immer zur femininen Wortform. So auch hier, als Reinhard von „Autorinnen und Intellektuellen“ sprach, obwohl auch männliche Autoren den Brief unterzeichnet haben. Ein Schelm, wer da den Genderbeauftragten zu Hilfe rufen möchte. Aber ich schweife ab.
Die Autorinnen und Autoren des offenen Briefes im Harpers Magazine diagnostizieren in den Medien ein Klima der Intoleranz und dass dies auch der Zustand in deutschen Medien ist, sollte mittlerweile offensichtlich sein. Moralische Dogmen und politische Eindeutigkeit sind gefragt, Toleranz wird zugunsten ideologischer Konformität abgeschafft und existiert nur noch dem Namen nach.
Die interviewte Regula Venske vom PEN liegt aber falsch, wenn sie in dem Zusammenhang von Selbstzensur spricht, die von der Angst vor einen Shitstorm in den sozialen Medien gespeist wird. Es sind ja vielmehr Politik und die klassischen Medien selbst, die zur Schaufel greifen, um mit Dreck zu werfen oder gleich ein tiefes Loch für jene zu graben, die im Meinungskorridor an die Wände stoßen. Besonders eifrig sind die Schaufelschwinger, die von üppig sprudelnden Zwangsgebühren angetrieben werden.
Venske berichtet selbst von der Schere im Kopf, die dafür sorge, dass viele nur noch von der erwarteten Reaktion her denken können. Diese Diagnose stimmt und die Zensur hinterlässt in der Kreativität von Kunst und Literatur eine Schneise der Verwüstung. Doch mediale Kritik an den politisch herbeigeführten Verengungen sucht man vergeblich. Man denke nur daran, wie in Schleswig-Holsteins Filmförderung nun Gender- und PC-Fragen auf einer Checkliste an Filmemacher herangetragen werden, nachdem man sie schon jahrelang auf grüne Energiesparkompatibilität gebürstet hat. Sowas wird eher als „progressiv“ oder „inklusiv“ beklatscht, als das es als unzulässig abgelehnt wird. Man hofft wie immer, dass es nur “ die anderen“ treffen möge oder definiert die eigenen „Kreativität“ freiwillig innerhalb dieser „Grenzen des Machbaren“.
Hetzer und Ausgrenzer
Nun fallen im DLF-Interview Worte, die seit Jahren toxische Tabus in der Debatte sind und über die man nur unter Disclaimer und nach heiligem Schwur schreiben kann, dass man das natürlich alles viel offener und pluralistischer sehe als die „Hetzer und Ausgrenzer“.
„Islam, Kopftuch […] so entstehen Denkverbote…man akzeptiert, dass eine Kultur des beleidigt seins entsteht.“
Die Welt verliere den Humor, wenn jetzt schon Monty Python auf dem Prüfstand steht, klagt Venske und damit liegt sie richtig. Das Interview ist bis hierhin in einer Weise offen und ehrlich, dass man sich die Ohren reibt angesichts der Tatsache, dass dies alles seit Jahren bekannt ist und beklagt wird. Vergeblich, wie uns TV-Haltungsschäden wie Gniffke, Kleber, Restle oder Reschke immer wieder aufs Brot schmieren. Der Journalist von heute sei Haltungsträger und Hanns-Joachim Friedrichs hätte seinen berühmten Satz, ein Journalist dürfe sich mit keiner Sache gemein machen, auch keiner guten, genau andersherum gemeint, meinte etwa Anja Reschke – just in dem Moment, als sie 2018 den Friedrichs-Preis entgegen nahm und hinter ihr genau jener Satz leuchtete.
Woher also die plötzliche Einsicht, dass Zensur und Selbstzensur destruktiv sind? Was stört Venske plötzlich daran, dass die Meinungsfreiheit eingeschränkt wird? Ihre ist doch nicht bedroht, ebenso jene der Autoren bei Spiegel, SZ, Panorama, Monitor oder Maischberger. Oder etwa doch? Man hat sich in vielen Verlagen, beim DLF und auch im PEN bisher jedoch eher als freiwilliger „Zensor“ betätigt und will uns nun erzählen, dass man längst als Opfer Blut vergieße? Aber ach, so schnell wie der Anfall kam, war er auch schon wieder vorbei.
Reinhard fängt die klagende Venske schnell wieder ein und insistiert, man müsse natürlich unterscheiden! 2018 sprach schließlich auch Uwe Tellkamp von einem „Gesinnungskorridor“ als er behauptet habe, die meisten Asylsuchenden würden hier den Sozialstaat unterwandern. Es gebe doch, so Reinhard, schon noch eine Grenze des Sagbaren! Dem stimmt Venske sofort zu und der Moment, die Gelegenheit zum Brückenbau war verpufft.
Die Grenzen des Sagbaren
Es geht im Interview nicht um Meinungsfreiheit oder verengte Debatten für alle! Vielmehr spüren die Jakobiner von heute die Enge mittlerweile am eigenen Kragen. Wen sie hingegen verdammten, der ist verloren, auch wenn er nur sein Recht auf eine eigene Meinung in Anspruch nahm. Wer die (aktuelle) „Grenze des Sagbaren“ überschreitet, ist verbannt und bleibt es. How dare you, Tellkamp!
Es ist das ewige Problem des Jakobinismus, dass die Abgrenzung zwanghaft ist und jede rote Linie, die Sagbares von Unsagbarem trennt, schon am nächsten Tag durch eine neue, noch engere ersetzt sein kann. Man weiß also nie, ob man richtig steht und ausreichend konform mit den ausgereichten Tagesparolen ist. Was heute noch eine scherzhafte Äußerung sein kann, ist morgen vielleicht schon verderbte Gesinnung und falsche Haltung und dann heißt es „Tschüss, Sendeplatz“, „Adieu, Buchvertrag“.
Der Raum des Denk- und Sagbaren wird immer kleiner und sind die Jakobiner zu Beginn noch im schönsten Einvernehmen, wird der geistige Platz, den sie sich teilen, mit fortschreitender Zeit immer kleiner, die Sprache ähnlicher und austauschbarer, die Angst größer, morgen versehentlich selbst hinter der roten Linie zu landen. All die vorauseilenden Kniefälle und Entschuldigungen sind nichts als verzweifelte Eingeständnisse, dass man sich gerade nicht sicher ist, ob man vielleicht doch schon hinter der Grenze des Sagbaren steht. Man neigt vorsichtshalber den Kopf, auf dass der rote Pinsel darüber hinweg ziehen mag.
Sie hätten ja in manchem recht, diese „Rechten“, meint Venske. Man könne schon über die deutsche Politik kritisch und kontrovers berichten und diskutieren. Aber auch hier irrt sie. Genau das kann man eben nicht frei. Die Konsequenz einer solchen Kontroverse hat Tellkamp schließlich am eigenen Leib gespürt, das sollte Venske eigentlich wissen. Die Konsequenz für ihn war genau das, was sie nun öffentlich beklagt, für Tellkamp aber nicht gelten lassen will, weil dieser schon jenseits der aktuellen roten Linie steht. Venske und andere „woke“ Leute kämpfen nur für jene, die bei der „Reise nach Jerusalem“ noch Aussicht auf einen Stuhl haben. Doch die werden logischerweise immer weniger, so ist das Spiel. Über Themen wie Migration, Energiewende, Eurorettung oder Klimawandel ist eine Debatte öffentlich nur noch möglich, wenn sie die gewünschte Richtung einschlägt. Die Debatte ist aber nicht frei, wenn Rollenverteilung, Richtung und Ergebnis schon feststehen.
„Brauchen wir diesen Appell auch hier?“
Reinhards Eingangsfrage, ob wir einen solchen Appell wie im Harpers Magazine auch in Deutschland brauchen, beantwortet Venske mit „ja“. Doch wie glaubwürdig ist dieser Appell, wenn er Meinungsfreiheit im Grunde nur für jene fordert, die diese noch haben? Es gab ja bereits vergleichbare Appelle, an denen inhaltlich nichts auszusetzen war. Der eine richtete sich gegen die blinde Zerstörung von Büchern und Gedanken (Dagen, 2017), der andere sprach sich schlicht für die Durchsetzung geltenden Rechts aus (Lengsfeld, Broder, Klonovsky, 2018) und in beiden Fällen konnten diejenigen, die heute über sich verengende Debatten klagen, gar nicht schnell genug Abstand gewinnen, kübelten Häme und Spott und implementierten die Unterzeichner in ihre Block-Listen.
Wie im Interview zu hören war, achtet man immer noch peinlich auf Abstand zu „denen da“, besteht auf „Grenzen des Sagbaren“ und möchte die Gedankenschere nicht wirklich loswerden, sondern nur etwas kleiner haben, damit sie in den eigenen, engen Kopf passt. Als kürzlich James Bennet, der Opinion-Chefredakteur der New York Times, seinen Hut nehmen musste (er kündigte selbst, aber nicht freiwillig), weil er eine „falsche Meinung“, nämlich die eines republikanischen Senators ins Blatt gelassen hatte, hielt sich die Empörung im deutschen Blätterwald in Grenzen. Selbst die FAZ schmutzte vom „umstrittenen Artikel“, als sei das kein Qualitätsmerkmal, sondern ein zu vermeidender Fehler, weil nur unumstrittenes in eine Zeitung wie die NYT gehöre. Das was Tom Cotton im Artikel forderte („Send in the Troops“) geschieht übrigens gerade in Kansas City* und die Bewohner, die unter den ausufernden gewalttätigen Zuständen leiden, sind darüber sicher nicht unglücklich.
Wer offene Briefe wie den im Harpers Magazine oder die Erklärung 2018 unterschreibt, liefert sofort den ultimativen Beweis für deren Notwendigkeit. Für jene, die sich noch sicher fühlen und noch keine roten Linien um sich herum erblicken, dienen solche Liste nämlich als Sieb, in dem jene sichtbar hängen bleiben, die man als nächste ablehnen, angreifen und ausradieren kann. Man glaubt vielleicht, lästige Konkurrenz loszuwerden und hofft auf Raumgewinne. In der Praxis ist jedoch das Gegenteil der Fall: die Räume werden enger.
Die meinungsbeherrschenden Elite wird kleiner
Vox, ein ultralinkes Medium und nicht zu verwechseln mit Fox, hat sich selbst verdient gemacht um Ausgrenzung und „cancel culture“, und der Vox-Redakteur und Mitgründer Matthew Yglesias zog nun öffentliche Gegenreaktionen von Kollegen auf sich, da auch er den offenen Brief unterschrieben hatte.
Weil der Brief wie andere Aufrufe inhaltlich kaum angreifbar ist, macht man Kritik daran an den Personen fest, die ebenfalls unterschrieben haben und unterstellt moralische Konterbande. Emily VanDerWerff erblickte etwa mehrere wie sie es nennt „Anti-Trans-Kritiker“ unter den Unterzeichnern, die an ihrem „Sicherheitsgefühl“ kratzen und wer sich wie Yglesias mit solchen gemein mache und den Mindestabstand zu solchen Leuten nicht einhalte (rote Linie), der sei zusammen mit den „Anti-Trans-Kritikern“ verdammt bis in alle Ewigkeit. Vermutlich stört sich Emily VanDerWerff an der Unterschrift von J. K. Rowling, die sich das Frausein nicht verbieten lassen oder zu „menstruierend“ umdefiniert sehen will.
Jeder der den offenen Brief in Harpers Magazine unterschrieben hat, ist nun von einer unsichtbaren roten Linie umgeben, der sich nicht nähern darf, wer noch zur meinungsbeherrschenden Elite gehören will. Die „Verräter“, hübsch zusammengefasst auf einer Liste, sind fortan aus der Debatte verbannt. Für die meinungsbeherrschenden Elite, die täglich scheinheilige Eide auf die Meinungsfreiheit schwört, sind die „Grenzen des Sagbaren“ nun wieder etwas enger geworden und der Moment, an dem es in diesem Wettbewerb des Vereinfachens und Aussortierens nur noch eine einzige Meinung, nur noch eine korrekte Haltung und eine einzige Gewissheit gibt und die ganze Welt nur noch von ausgegrenzten Feinden dieser einen „richtigen“ Meinung besteht, rückt wieder ein Stückchen näher. Das ist in Deutschland nicht anders als in Amerika.
* Die ursprüngliche Quelle ist in der EU nur via VPN zu erreichen (danke, NetzDG!). ich habe sie durch eine gleichwertige ersetzt, die aus der EU erreichbar ist.
und im Kern dreht sich alles nur um einzige Frage: wie weit weg sind wir inzwischen eigentlich noch vom einstigen DDR Propagandamedieneinheitsbetrieb in dem auch alles erst den Politsekretären und oft genug sogar dierekt den obersten Unrechtsstaatlern Mielke und Honecker zur Absegnung oder Vergasung vorgelegt werden mußte?
Ein Biermann, ein Havemann, ein Manfred Krug, eine Nina Hagen und so unendlich viele mehr, die damals rote Linien überschritten, vogelfrei geächtet wurden, von Aufträgen und karriere ausgeschlossen und ausgegrenzt wurden – immer enger gesteckte rote Linien des Sagbaren überschritten, konnten damals jedenfalls noch in freie Teile der Welt aussiedeln und dort das Unsagbare SAGEN und VERBREITEN.
Wie schlimm es inzwischen ist zeigt die Entwicklung dieser inzwischen weltweit unmöglich noch zu findenden Unschuld der freien Rede!
Sofrot sind die weltweit installierten offiziellen und INOFFIZIELLEN Schutztruppen linksgrüner Deutungshoheit und weltumspannender Macht linksgrüner Ideologie zur Stelle um alles zu vernichten, was ihrem Hass und ihrer Hetze – ihrer Ideologie widerspricht.
Wie frei war doch der einstige böse weisse imperialistische kolonialistische faschistische Kapitalismus der Nachkriegsjahrzehnte im bösen Westen mit seiner Arbeitslosigkeit, Ungleichheit, seinem Rassismus und seinem Mangel an 60 unterschiedlichen Toiletten für Extremminderheiten aller Art….
Dort aber konnte noch JEDER JEDE Rede halten und ob sie Gehör fand entschied nicht das Zentralkomitee der Volkskammerklatschaffen die die roten Linien festlegen sondern die Objektivität, die Rationalität, die Wissenschaft, die Vernunft, die Sachlichkeit, die Logik, die Realitätsnähe!
Rote Linien sind die Schiessbefehle derer, die die Lüge zum Geschäftsmodell ihrer sonst in sich zusammenbrechenden Ideologie gemacht haben. Würden die Reschkes, die Maischbergers, die Restles, die Lanzes, die Illners und wie sie alle heißen, die gratismustigen, führ ihren Selbstachtungsverrat geradezu finanziell und strukturell verbeamteten Regierungssprecher ihre hetze und ihren Hass auf Andersdenkende und Kritiker der Politik auch verspeien, wären sie nicht so sehr für die „richtige“ Meinung abgesichert und bezahlt?
Dann bräuchte es ja keinen ÖR, keine Staatshilfen, keine „Erleichterungen“ und „Absenkungen der Belastungen durch Zeitungsausträger“ etc… wer Angst hat vorm Wettbewerb, der hat KEINE Argumente, der lügt! und wer lügt hat Unrecht! Auch deshalb nennen sich Diktaturen UNRECHTSTAATEN! Ihre Existenz ist auf Lügen gebaut.
„So auch hier, als Reinhard von „Autorinnen und Intellektuellen“ sprach, …“
Hmm, vielleicht als Kompromiss der erst während des Formulierens gewonnenen Blitzerkenntnis, dass „Autoren und Intellektuellinnen“ sich noch blöder anhören könnte?
„… obwohl auch männliche Autoren den Brief unterzeichnet haben.“
Auch weibliche Intellektuelle? ;->
„Die Welt verliere den Humor, wenn jetzt schon Monty Python auf dem Prüfstand steht, klagt Venske und damit liegt sie richtig.“
Nö, auch darauf trifft das Adjektiv aus dem Titel des Artikels zu: „Zu spät.“
Hier in der Kausalkette:
Der Verlust / die Verweigerung schon der Apperzeption von Humor ist kausale Folge einer deutlich vor der Jahrtausendwende einsetzenden und fortschreitenden intellektuellen Verluderung „der Welt“.
Inzwischen ist nicht nur der Humor automatisch mit „über’n Jordan gegangen“, auch andere Befähigungen, die ich mal als für die Gattung ‚Homo‘ konstituierend hielt, zeigen deutlich regressive Tendenz, einige werden ja hier im Artikel angeschnitten. Es ist ein ‚Gesamtkunstwerk‘.
Wird Zeit, dass die „Künstliche Intelligenz“ anwendungsreif wird, die „Natürliche Blödheit“ steht kurz vor ihrem Kulminationspunkt.
Danke für diesen erhellenden Artikel.
Danke für den Text!
Man könnte noch ergänzen, dass durch das ständige Unterdrücken der eigenen Impulse, das Haltungzeigen gegen die eigene Intuition, ein nicht unbeachtlicher psychischer (Innen-)druck und eine seelische Deformation gefördert werden (siehe Venske), die nach einer Entladung suchen.
Dass dies zunächst ängstlich und halbherzig erfolgt, verleiht dem das beschriebene bizarre Äußere (Ambivalenz).
Ach, ich denke, Sie können zuversichtlich davon ausgehen, dass solche Leute i.a.R. mit einer überbordenden ‚Ambiguitätstoleranz‘ ausgestattet sind. Die bringen völlig ohne intellektuellen Unwohlseins jegliche Wiedersprüche unter jeden verfügbaren Hut, wenn die pekuniären Randbedingungen stimmen. Sonst wären sie nicht da, wo sie sind.
Eine möglicherweise daraus tatsächlich resultierende „seelische Deformation“ wird dann als stylischer Effekt der ‚Persönlichkeitsentwicklung‘ präsentiert.
Trotzdem tröstet mich die Vermutung, daß denen der A…. auf Grundeis gehen könnte. Da Roger (ich mag den, deshalb nehme ich mir einfach einmal die Freiheit, ihn beim Vornamen zu nennen) hier die Jakobiner erwähnt: Bekanntermaßen fiel auch Blutrichter Numero une, Maximilian Robespierre, zum Schluß seinem eigenen Fallbeil zum Opfer.
Zustimmung zu Roland – nicht zum Duzen sondern zu den Jakobinern. Was Robespierre endlich den Kopf kostete, nämlich sein Wüten gegen wen immer er als seinen Gegner, besser, Gegner seines Idee, betrachtet, erzeugt zwangsläufig immer mehr Gegner bis er letztlich zu wenige Unterstützer hat um einen Umschlag der Situation zu vermeiden. Die Feigen tun sich eben letztlich doch zusammen, um ihr eigenes Ende zu vermeiden.
Ob wir das beim Abwürgen der Meinungsfreiheit je erleben können? Man kann es zumindest bezweifeln, denn die Geschichte hat auch hier ein Beispiel. Nur der Tod stoppte Stalin bei einer ähnlichen Gewaltspirale. Die Feiglinge wagten es, von gegenseitigem Misstrauen besessen, bis zuletzt nicht (besonders jämmerlich die Rolle von Lawrenti Beria) sich gegen ihn zusammenzutun.
Werden es die Meinungsmacher spüren, wann der Würgegriff der politischen Korrektheit sie sebst bedroht? Und: Werden sie den Mut aufbringen, sich zu wehren?
@F. Auerbacher: Das Beispiel Stalin hatte ich auch im Kopf. Im übrigen hatte es auch da die Scharfrichter erwischt. Sowohl der von Ihnen erwähnte Berija als der nicht minder blutrünstige Ex-Geheimdienstchef Jeshow wurden von ihrer eigenen Parteiführung exekutiert. Ich glaube übrigens nicht, daß die Venskes, Klebers und Wills, schon gar nicht Linksaußen wie Jacob Augstein, jemals so etwas wie Einsicht oder Reue zeigen werden. Sie werden entweder friedlich in den Ruhestand gleiten in dem Bewußtsein, es dem „Klassenfeind“, den „Rechten“ oder wen auch immer sie unter ihre Meinungsfuchtel kriegen wollten, gezeigt zu haben. Oder sie werden mit einem kräftigen Tritt in ihren roten Hintern und ohne, daß ihnen jemand hinterherheulen wird, hinweggefegt werden. So wie ihr moralisch-geistiges Pendant Sudel-Ede (Chefhetzer des Fernsehens DDR) im Jahr des Mauerfalls.
„Trotzdem tröstet mich die Vermutung, daß denen der A.… auf Grundeis gehen könnte. “
Warum sollte er? Das mag vielleicht für die Meinungssurrogate-Verbreiter aus der zweiten / dritten Reihe gelten. Denen könnten langsam Bedenken kommen, ob sie es in der noch verbleibenden Zeit des Überflusses wohl in die erste Reihe schaffen können, wo die – auch materiellen – Belohnungen verteilt werden.
Die gegenwärtige erste Reihe, die Arrivierten, deren „Sowohl als auch aber bitte mit Stil“-Brei wir heute tagtäglich zum Hören, Sehen, Lesen vorgesetzt bekommen, die ihre kognitiven Dissonanzen als Monstranz kultureller Errungenschaften vor sich her schleppen, die haben ihre Schäflein längst im Trockenen und beabsichtigen sicher nicht, selbige wieder in den Regen rauszuführen, indem sie sich plötzlich auf der Gegenseite exponieren.
Aber:
Diese seit geraumer Zeit als höchsterwünschte soziale Fähigkeit hochgejazzte ‚Ambiguitätstoleranz‘ verliert sich meist recht schnell, wenn keine einzige der offensichtlich widersprüchlichen Sachverhalts-Darstellungen und deren allfällige Konsequenzen noch einen persönlichen Vorteil verspricht, selbst mit maximaler ’seelischer Deformation‘.
Nun denn: Schlimmstenfalls zuckt man mit den Schultern und zieht sich auf sein Menschenrecht zurück, sich geirrt haben zu dürfen. Ein schnelles Pferd ist da nicht einmal vonnöten. Selbige (oder alternativ materielle Unabhängigkeit) gehören bekanntlich zum unverzichtbaren Equipment derjenigen, die heutigentags die Wahrheit auszusprechen wagen.
„Bekanntermaßen fiel auch Blutrichter Numero une, Maximilian Robespierre, zum Schluß seinem eigenen Fallbeil zum Opfer.“
Ja, sowas passiert, wenn man aus ideologischer Borniertheit *) nicht einmal mehr die Widersprüchlichkeiten erkennt, z.B. zwischen
erwarteter Égalité und erlangter Égalité de misère
oder
erhoffter Liberté und realer Décapitation, Befreiung des Halses von der Last des Kopfes.
Dann kann die Ambiguitätstoleranz und mit ihr die Fraternité derjenigen, die dafür den Kopf hinhalten müssen, schonmal ein wenig schwächeln.
*) Nein, zumindest dem Großteil der heutigen Galionsfiguren gestehe ich solche naive Ignoranz als Ausflucht nicht zu. Dazu sind die Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung heute zu gut, die Diskrepanzen zwischen Vorgang und seinem Vortrag zu groß und offensichtlich, die Folgen ihres Handelns der letzten Jahre / Jahrzehnte schon zu augenfällig. **)
Die wissen genau, was sie machen!
**) @Roger: Deine exakte Darstellung der Genese und Fluktuation ständig neuer ‚Roter Linien‘ klammert allerdings den schon etwas älteren gegenläufigen Faktor aus, der die Gesamtmenge roter Linien wieder halbwegs konstant hält:
Im gleichen Zuge verschwanden / verschwinden nämlich permanent ‚Rote Linien‘ spurlos, die ich mal für Bollwerke gegen die kulturelle Barbarei gehalten habe. (Und wer sich erkühnt, auf deren fortdauernde Gültigkeit zu pochen, verschwindet stante pede … ja, genau … hinter der dicken roten Linie der „Ewiggestrigen“.)
Ich finde den Artikel wirklich ganz ausgezeichnet.
Jedes Wort trifft zu.
Vielen Dank für diese klaren Gedanken!
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