Man muss die Reden nebeneinander legen, welche Bundespräsident Steinmeier in den letzten Tagen gehalten hat. Seine Weihnachtsansprache und die Rede zur Auflösung des 20. Bundestages.

Viele fragen sich vielleicht, was so ein Bundespräsident eigentlich ist und ob das Amt, gerade weil man so selten von ihm hört oder liest, wirklich eine so hoch dotierte Vollzeitstelle braucht. Schaut man in den Statuten unseres Landes nach den Amtspflichten des Bundespräsidenten, findet man dort viel Salbungsvolles von Unabhängigkeit, Überparteilichkeit und Repräsentation. Sofort fragt man sich, wann man sich zuletzt von Frank-Walter Steinmeier, auch kurz FWS genannt, in irgendeiner Weise repräsentiert gefühlt hat. Aber das zu erörtern, würde wohl zu lange dauern. Viel wichtiger ist doch ohnehin, welche Aufgabe der FWS in der Selbstwahrnehmung ausfüllt. Und darüber lässt er das Publikum in beiden Reden nicht im Zweifel.

Er sieht seine Aufgabe darin, es den befreundeten Parteien leicht zu machen. Deshalb die Vorabsprachen, deshalb das Hinhalten und Aushalten des Schacherns um einen günstigen Wahltermin. Deshalb hört man von Steinmeier auch immer nur dann etwas, wenn die Politik, erschöpft und kopfrot von den Händen, die sie sich wechselseitig um die Hälse und Taschen gelegt hat, in den Seilen hängt und der Jubel der Claqueure von den Buh-Rufen der unfreiwilligen wie unzufriedenen Zuschauer überdeckt wird. Immer dann schlägt die Stunde von Frank-Walter, und die Spieluhr in seinem Bauch wird mit klick, klick, klick für sechs Minuten aufgezogen. Für Weihnachten dreht man den Schlüssel sogar etwas weiter, damit die Spannkraft für acht Minuten Textbausteine reicht. Was soll man auch sagen anlässlich eines Festes, über dem so viele Schatten liegen, nicht wenige davon herbeigewünscht und paraphiert von eben jenem Frank-Walter, der nun sagt:

„Inzwischen haben Sie wahrscheinlich das Schöne, das seit jeher zum Weihnachtsfest gehört, schon miteinander geteilt: die guten Wünsche, die Bescherung, das besondere Essen.“

Wovor hat er Angst? Trauernde starten keine Revolutionen

Der Mann ist ein Hellseher! Mindestens! Doch schon ist er bei seiner Kern-Expertise, denn zu nichts hatte er in seiner Amtszeit bisher mehr Gelegenheit, als Trauerreden in die unbekannten wie abwesenden Gesichter von Hinterbliebenen jener Toten zu sprechen, die jene Politik ausbaden mussten, die auch Steinmeier ins Amt geholt und dort bestätigt hat. Vielleicht ist seine Anteilnahme sogar echt, wer kann das schon sagen. Ihre Vergeblichkeit ist es leider auch.

„Vielen wird das Herz schwer sein an diesem Weihnachtsfest. Viele werden aufgewühlt, verunsichert sein, vielleicht auch Angst haben. All diese Gefühle sind verständlich. Aber sie dürfen uns nicht beherrschen, und sie dürfen uns nicht lähmen.“

Seltsam, wie das klingt. Steinmeier beschreibt die Gefühlswelt eines trauernden Menschen, so scheint es. Aber warum dann der Appell, diese Gefühle unter Kontrolle zu bringen? Wovor hat er Angst? Trauernde starten keine Revolutionen. Doch FWS hat da womöglich ein Gefühl in der Nennung ausgelassen, an welchem er sich aber beschwichtigend abarbeitet: Wut. Mit der ist allerdings nicht zu spaßen.

„Mein inständiger Wunsch ist heute: Lassen wir das nicht zu! Hass und Gewalt dürfen nicht das letzte Wort haben. Lassen wir uns nicht auseinandertreiben. Stehen wir zusammen! Zusammenhalt, wenn es darauf ankommt, das ist es doch, was unser Land ausmacht. Und: Zeigen wir das – gerade jetzt!“

Wem sollen wir das zeigen? Und haben wir uns auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt nicht längst auseinandertreiben lassen? Sinnbildlich und buchstäblich? Und warum „gerade jetzt“? Doch zur Wahl kommt FWS natürlich in seiner nächsten Rede, nachdem er in dieser wie üblich eine ganze Litanei aus bewältigten Krisen und Aufgaben vor uns ausrollt. Was Gemeinsinn, Tatkraft und Ideenreichtum in diesem Land alles erreichen können! All das sei doch noch da, das begegne ihm täglich, so Steinmeier. Doch er verkauft es uns so, als sei es seine ruhige, die Politik führende Hand, die uns das alles erst ermöglicht. Sportvereine, Feuerwehren, Chöre, Landfrauen und Pfadfinder umschließt sein Arm und drückt sie an die landesväterliche Brust, in der das Herz „unserer Demokratie“ schlägt.

„Unsere Demokratie ist und bleibt stark. 75 Jahre hat sich das Grundgesetz jetzt bewährt, 34 Jahre auch in unserem wiedervereinten Land. Diese kluge Verfassung wird uns auch in Zukunft tragen.“

Das kann sie wohl wirklich tun, wenn man nur die Finger von ihr lassen würde! Doch stattdessen wird sie entkernt und unsere Grundrechte zum staatlichen Lehen umdefiniert, wie in der Corona-Epoche, oder das Grundgesetz wird seidendünn ausgerollt, um über die ganze Welt zu passen, wie im Klima-Urteil des Verfassungsgerichts geschehen. Womit wir beim paternalistischen Kern der Rede angelangt sind:

Das Politik gewordene „Papa macht das schon“

„Und auch wenn jetzt eine Regierung vorzeitig an ihr Ende gekommen ist, ist das nicht das Ende der Welt, sondern ein Fall, für den dieses Grundgesetz Vorsorge getroffen hat. Die Entscheidung über die Auflösung des Bundestages und über Neuwahlen werde ich mit Sorgfalt nach den Weihnachtstagen treffen.“ 

Nicht das Ende der Welt? Herr Steinmeier glaubt offenbar, das sagen zu müssen. Denn er wähnt uns offenbar vor Angst zitternd, weil die ordnende, belohnende und strafende Hand seiner Regierung uns entzogen ist. „Nicht das Ende der Welt“ verkennt, dass die überwältigende Mehrheit der Bürger sich das Ende dieser Regierung geradezu herbeigesehnt hat. Ein Ende, welches er „mit Sorgfalt“ solange hinausgezögert hat, bis der Termin den Parteien in den Kram passte.

So notwendig scheint ein neuer Anfang ja nicht zu sein, wenn man Wochen, Monate und Feiertage damit zubringen kann, ihn anzukündigen. „Nicht das Ende der Welt“ ist das Politik gewordene „Papa macht das schon“, und die, zu denen Papa spricht, sind unmündige Kinder. Ein „Fürchtet euch nicht“ ganz ohne Rückendeckung von Mandat oder Mission. Im besten Fall Selbsttrost, weil viele unserer politischen Vertreter tatsächlich glauben, die Welt gehe unter, wenn deutsche Welterklärung und teutonische Tugend nicht jeden Tag die Sonne gut von Ost nach West bringen. Im schlimmsten Fall einfach paternalistischer Größenwahn, die Deutschen könnten Angst haben, nicht mal ein paar Tage oder Dekaden ohne Regierung auskommen zu können, die ihnen allmorgendlich die Zahnbürste führt, den Rucksack packt und die Brote buttert.

Doch springen wir ein paar Tage weiter und hören die nächste Rede von Papa Frank-Walter, der „mit Sorgfalt“ nun doch endlich den 20. Bundestag auflöste und den Weg frei machte für Neuwahlen. Als hätte ihm sein Amt irgendeine andere Wahl gelassen.

„Aber gerade in schwierigen Zeiten wie jetzt braucht es für Stabilität eine handlungsfähige Regierung und verlässliche Mehrheiten im Parlament.“

Stimme ich dem ersten Teil des Satzes noch zu, ist der zweite eine glatte Unterstellung. Von „verlässlichen Mehrheiten“ steht rein gar nichts im Grundgesetz. Die sind nur sehr bequem, wenn man dediziert Politik nach Freund-Feind-Schema betreiben will. Ansonsten tun es auch einfach „Mehrheiten“, ganz gleich, wie sie zustande kommen. Die Basis dafür fände Steinmeier übrigens in GG Artikel 28 Absatz 1.

„Nach den zuletzt langen parteipolitischen Auseinandersetzungen über das Ob und Wie von Neuwahlen, nach dem jetzt beginnenden Wahlkampf muss gelten: Es ist jetzt an der Zeit, dass das Problemlösen wieder zum Kerngeschäft von Politik wird.“

Vorbild einer Wahl, deren Annullierung zum Himmel stinkt

Mir würde es schon vollauf genügen, unsere nächste Regierung würde keine weiteren Probleme mehr verursachen.

„Und ich erwarte auch, dass der Wahlkampf mit fairen, mit transparenten Mitteln geführt wird. Einflussnahme von außen ist eine Gefahr für die Demokratie – sei sie verdeckt, wie kürzlich offenbar bei den Wahlen in Rumänien, oder offen und unverhohlen, wie es derzeit besonders intensiv auf der Plattform X betrieben wird. Ich wende mich entschieden gegen alle äußeren Einflussversuche. Die Wahlentscheidung treffen allein die wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger in Deutschland.“

Das Zeigen der Instrumente war schon in mittelalterlichen Folterkellern der vorgeschriebene erste Akt der Gefügigmachung. Sich dabei jedoch ausgerechnet auf das Vorbild einer Wahl zu berufen, deren Annullierung zum Himmel stinkt, ist eine Schande. Nicht Stimmenkauf, Wahlmanipulation oder Schlägerbanden waren das Problem in Rumänien. Niemand hatte die Bürger Rumäniens daran gehindert, ihr Wahlrecht in Anspruch zu nehmen. Die rumänische Regierung erklärte einfach, die Wähler seinen fremdgesteuert, von Propaganda beeinflusst oder schlicht zu dumm gewesen, das Richtige zu wählen.

Und hat der Frank-Walter nicht recht? Kann ein deutscher Wähler denn klaren Verstandes jemand anderes wählen als Olaf Scholz, der gerade selbst um die Entlassung aus der Regierungsverantwortung gebeten hat? Oder Robert Habeck, dessen ökonomischer Sachverstand ganze VWL-Fakultäten in die Erdgeschosse umziehen lässt, damit sich die Professoren nicht vor Freude über seine ökonomischen Experimente aus den Fenstern stürzen? Oder Friedrich Merz, der zwischen unvereinbaren Standpunkten so rasch wechseln kann, dass er als schnellster Transistor der Welt gelten muss? Sehen Sie, liebe Leser! Der Frank-Walter meint es nur gut mit uns!

Andererseits würde ich gern die Entlarvung der Feinde „unserer Demokratie“ in einer Brandrede hören, wenn der Frank-Walter dann vor die Kameras tritt und seine Entscheidung verkündet, die Wahl zu rumänisieren. Eine Entscheidung, die er natürlich wieder mit Sorgfalt treffen und nach einem Feiertag verkünden wird, weil Sie, Sie und vielleicht sogar Sie da hinten am Küchentisch eines Habeck-Filmsets wieder solch eine Grütze zusammengewählt haben. Nur weil Ihnen der Russe, der Elon, der Trump, der Orban oder weiß der Zwirn wer auf X den Kopf vernebelt hat. Sie wussten es eben nicht besser, weil Sie ein Kind sind! Doch der Frank-Vater Steinmeier wird euch alle retten und mich auch, und wenn es das Einzige ist, was er für die nächsten zehn Murmeltiertage tun wird. Und trösten Sie sich, liebe Leser. Wenn Wählen die einzige Möglichkeit ist, von der nächstschlechteren Regierung verschont zu bleiben, können wir das ruhig noch öfter machen.

Zuerst erschienen auf achgut.com

Vorheriger ArtikelProzesse, Urteile und der Preis der Gnade

2 Kommentare

  1. „…ist nicht das Ende der Welt“ Kann man auch deuten als: Die Nationale Front bleibt an der Macht, koste es was es wolle, solange es demokratisch aussieht. Erinnert mich irgendwie an den Abspann vom rosaroten Panther.

  2. Köstlich! You made my day! Früher war es der Bischof der zu Weihnachten den Schäfchen die Leviten las, in wohlgesetzten Worten und dem paternalistischem Singsang der katholischen Kirche, der die Ewigkeit und die Sendung von Gott verkörpern sollte. Heute macht das Frank-Walter. Was den Singsang angeht ist er schon nah dran. Die Litanei ist eh seit Jahrtausenden gleich: … Brüder und Schwestern im Geist des Herrn versammelt …. Lasst euch nicht beirren durch die Mühsal des Tagwerks und die falschen Propheten die euch die Sinne verwirren … wir sind für euch da … wir spenden den Mühseligen und Beladenen Trost … wir Salben die Kranken … der Lohn im Himmel und Euer sein (wichtige Abweichung: Wir schaffen Gerechtigkeit schon auf Erden) … der Teufel ist überall und will eure Seelen fangen… widersteht ihm und seinen Jüngern… haltet die Treue der einzigen Macht Gottes auf Erden, der selig machenden katholischen Kirche ,,, denn wie sagt der Herr… sein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen. – Aufgeklärte Geister haben in beiden Fällen gegähnt. Aber das Volk braucht halt Führung und Richtung. Von Frank-Walter dem Bischof.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein