War doch nur alles Theater? Die verschränkten Arme Selenskyjs, Trumps abwehrende Handbewegungen und der erhobene Zeigefinger, Außenminister Rubios versteinerte Miene? Und bedeutet Trumps abschließendes „It will be great television“ nicht genau das, die Bewertung einer Show? Möglich, aber wenig wahrscheinlich. Die Verstimmung ist echt, und wer nicht nur die letzten sieben Minuten des Gesprächs zwischen Trump und Selenskyj gesehen hat, sondern die ganzen 45, muss erkennen, dass es eben Selenskyj war, der diesen coram publica ausgetragenen Streit verursacht hat.

Vergessen wir mal solche Details wie die äußere Erscheinung, wenn man ins Oval Office eingeladen wird. Man mag Selenskyjs Pullover in Kombination mit der verbalen Eskalation für eine schlechte Idee halten, und wer an solch Zeichen glaubt, kann durchaus bemängeln, dass der ukrainische Präsident Selenskyj im gleichen Aufzug zu Trump spricht wie zu seinen Fans in Hollywood. Entscheidend ist die Frage, warum Selenskyj überhaupt nach Washington kommen wollte.

Trump sprach nach dem Abbruch des Treffens von Zeitverschwendung und meinte damit, dass der Deal zwischen der Ukraine und den USA über die Exploration und Gewinnung von Rohstoffen längst hätte unterzeichnet werden können. Die Vorschläge liegen seit einer Woche vor. Die Regierung Biden hätte sich sehr wahrscheinlich mit der Absichtserklärung zufrieden gegeben, doch unter Trump ist ein geradezu frostkalter Realismus ins Weiße Haus eingezogen, den Selenskyj offensichtlich noch nicht verstanden hat.

Dessen Strategie, über die emotionale Einbeziehung seiner Verhandlungspartner Pluspunkte einzusammeln, funktionierte im woken Westen mit seinem dualistischen Denken, das die Welt generell in Aggressoren und Opfer einteilt, ganz wunderbar. Und die Fakten gaben ihm recht: Es war Russland, das am 24.2.2022 mit regulären Truppen die ukrainische Grenze überschritt. Dass dieser Krieg eine lange Vorgeschichte hat…geschenkt! Dass die EU ihr Soft-Power-Spiel um Einfluss dort nicht gerade klug spielte…auch geschenkt. Man muss die Welt bewerten, wie sie ist, nicht wie man sie gern hätte. Und die Bewertung Trumps sieht nüchtern betrachtet etwa folgendermaßen aus.

Doch wie sieht eigentlich die Strategie der EU aus?

Die Ukraine ist kein Mitglied der NATO, und selbst die gefühlte oder herbeigeredete Bedrohung der europäischen Alliierten konstituiert noch keinen Verteidigungsfall nach NATO-Statuten. Die Ukraine kann auch nicht mal eben fix in die NATO aufgenommen werden, weil jeder offene Grenzkonflikt mit einem Nachbarland dies gemäß den Statuten verbietet. Nicht mal im Tausch gegen den Rücktritt Selenskyjs ginge das!

Um der Ukraine weiter helfen zu können, müssten die USA dort Interessen haben, die nicht militärisch sind, denn letztere würde Russland nicht akzeptieren. Deshalb der Rohstoffdeal, der unmittelbar auf das Standing der USA bei den Verhandlungen in Riad durchschlagen würde, wenn er abgeschlossen ist. Zum Beispiel auf die Tatsache, dass die Ukraine im Süden nicht noch weitere Gebiete verlieren würde, weil Putin von einer Landbrücke bis nach Transnistrien träumt und der Ukraine gern den Zugang zum Schwarzen Meer abschneiden würde. Rohstoffexporte müssen über Seehäfen abgewickelt werden, und Odessa hat einen solchen.

Amerika ist also bereit, auf nicht militärische Weise „Skin in the Game“ in der Ukraine zu haben, und es ist anzunehmen, dass selbst Putin dies akzeptieren würde. Doch wie sieht eigentlich die Strategie der EU aus, wo sich seit dem Rauswurf Selenskys aus dem Weißen Haus die Falken darin zu überbieten versuchen, die Lücke zu füllen, welche die USA anscheinend in der „Brandmauer gegen Putin“ hinterlassen haben. Sogar von der Suche nach einem neuen „Anführer der freien Welt“ ist die Rede. Man geht im Geist die Reihe der Anwärter auf diesen Titel durch, sieht den Wackelkandidaten Merz, Frankreichs Macron mit Mühlstein-Defizit am Hals, den britischen Premier Starmer, der die Pub-Gespräche seiner Bürger kontrollieren will und sie wegen Facebook-Memes in den Knast steckt, und natürlich Ursula in ihrer Bürokratenfestung in Brüssel und fragt sich lachend, wer wohl in diese Stiefel passen könnte.

Doch mit voller Hose ist gut stinken und die Rhetorik in den Sozialen Medien überschlägt sich im gestreckten Galopp. Mit einem begeisterten „Ich kenne keine Parteien mehr, nur noch Deutsche“ rief Wilhelm Zwo die Soldaten zu den Waffen, und deutsche „Influencer“, die sich immer auf der richtigen Seite der Geschichte wähnen, klingen heute schon wieder ähnlich: „Die demokratischen Parteien müssen jetzt geschlossen das Krisenszenario als solches begreifen und sich zusammensetzen. Keine Parteilogiken mehr. Country and continent over party. Das muss gelten. Und zwar sofort.“ (Mareile)

Für Country und Continent. So redet, wessen Vorstellung von Krieg ist, vor einer Botschaft Schilder in die Luft zu halten, in Trillerpfeifen zu pusten oder auf X zu posten. Andere machen sich in der Jungen Union gleich daran, das Nachschub-Problem für den Fleischwolf zu lösen, indem sie die sofortige Wiedereinführung der Wehrpflicht fordern: „Deutschland und Europa müssen militärisch so stark werden, dass es unmöglich wird, die großen Fragen ohne sie zu regeln. Solange wir aber nichts daran ändern, können wir uns die Beschwerden über Trump und Putin sparen. Also: Nächste Woche Sondervermögen, Wehrpflicht.“ (Johannes Winkel)

Wir bestrafen Worte und verharmlosen Taten

Diesmal aber bitte nicht nur für Männer, denn der Russe muss nach unserer feministischen Außenpolitik auch die feministische Seite unserer Waffen zu spüren bekommen. Doch wofür das ganze eigentlich? Hat sich schon mal jemand die Mühe gemacht, die Frage von J.D. Vance auf der Münchener Sicherheitskonferenz zu beantworten? Was verteidigen wir eigentlich und gegen wen? Die Liste unserer „Feinde“ wird immer länger und umfasst nun nicht nur Putin, Peking und die Pressefreiheit, sondern 20 Prozent unserer Mitbürger, den Nationalstolz der Ungarn und die Weigerung der Polen, sich widerstandslos in ein globalistisches Amalgam schmelzen zu lassen.

Den realistischen Kassensturz der US-Regierung halten wir für einen „autoritären Umbau des Landes“. Betrug und Schlamperei sind uns systemrelevant, solange sie als Hilfe getarnt werden. Demonstrationen sind uns nur legitim, wenn sie die Regierung unterstützen. Wir bestrafen Worte und verharmlosen Taten. Nichtregierungsorganisationen werden von Regierungen bezahlt. Freie Rede ist gefährlich für die Demokratie… Wir leben in einer Simulation, die uns vor der Realität schützen soll! Doch die findet immer ihren Weg. Erst allmählich, dann plötzlich, wie am 28. Februar im Weißen Haus.

Dort sagte Selenskyj doch wirklich, es sei ein Fehler, mit Putin zu verhandeln. Man könne auch keine Verträge mit Putin schließen, er breche sie sowieso. Nein, man müsse ihn stoppen. Tue man das nicht, sei Amerika das nächste Opfer der russischen Expansion. Mit anderen Worten, die Bemühungen der US-Regierung zur Beilegung des Konflikts seien völlig falsch. Selenskyj versuchte, Trump und Vance eine Lektion zu erteilen, und das kam gar nicht gut an.

Wenn man sich in Selenskyjs Lage versetzt, kann man ihn sogar verstehen. Wie ein Ertrinkender klammert er sich an alles, was ihm in die Finger kommt. Dummerweise hat er nun dem einzigen Rettungsschwimmer, der ihm wirklich helfen kann und will, eins auf die Nase gegeben. Am Strand stehen Merz, Macron, Starmer und von der Leyen, brüllen Solidaritätsadressen an den Ertrinkenden, beschimpfen den Rettungsschwimmer und fordern dessen Auswechslung. Es darf bezweifelt werden, dass auch nur einer von ihnen gut genug schwimmen kann.

Zuerst erschienen auf Achgut.com

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