Wenn der Spiegel seinen Lesern etwas über Bigotterie erzählen möchte, lässt man mal ausnahmsweise die Bezahlschranke offen. Und um sich für sein Werk mit etwas Glaubwürdigkeit zu imprägnieren, stellt sich der Autor im Foyer des Relotius-Hauses vor den dekorativ-metallenen Wandschmuck, zu welchem das Credo des Gründers Rudolf Augstein verkommen ist, und erklärt dessen „Sagen, was ist“ zum „wirkmächtigen Fanal gegen Bigotterie“. Und wer könnte Augsteins Flamberge zorniger schwingen und der Wahrheit eine Gasse hauen als Sascha Lobo: „Auf massiven Druck der demokratiefeindlichen Trump-Regierung hat Disney Mitte September die Late-Night-Show des Comedians Jimmy Kimmel zunächst suspendiert.“
Ein Satz wie das Schwert eines Glaubenskriegers, lautstark und frömmelnd geführt, voller dogmatische Gewissheiten und Übertreibungen und somit würdig, im Galaktischen Wörterbuch selbst zur Demonstration des Begriffs „bigott“ herangezogen zu werden. Um die Causa gleich am Stück zu behandeln, schauen wir gleich noch, wie sich Lobo aus der Kimmel-Saga wieder herausschreibt: „Ein paar Tage später ist Kimmel einigermaßen überraschend wieder on air gegangen, der Druck auf Disney wurde offenbar zu groß.“
Druck in die andere Richtung auszuüben, scheint für Lobo also in Ordnung zu sein und Attribute wie „demokratiefeindlich“ sind für Silbenschinder beim Spiegel ebenso gesetzt wie der „massive Druck“, den die Trump-Regierung selbstverständlich ausgeübt habe. Es war ja tatsächlich Brendan Carr, Vorsitzender der Federal Communications Commission (FCC), der im Podcast von Benny Johnson sagte: „Hören Sie, wir werden Kimmel nicht mehr senden, bis sie das geklärt haben [gemeint war Kimmels Entschuldigung oder Richtigstellung], denn es droht der Lizenzentzug durch die FCC, wenn weiterhin Inhalte gesendet werden, die letztlich zu einer systematischen Nachrichtenverzerrung führen.“ Selten haben linke Aktivisten so verzaubert einem konservativen Podcast gelauscht!
Massiver Druck?
Zwei große Netzwerke lokaler TV-Sender, Sinclair und Nextstar, hatten ABC da bereits mitgeteilt, dass sie Kimmel nicht mehr ausstrahlen würden, sollte der sich nicht entschuldigen. Bestand die Handhabe der FCC zumindest theoretisch darin, Nachrichtenverzerrung nicht dulden zu dürfen – und nichts anderes hatte Kimmel getan – so rannten den lokalen Lizenznehmern Sinclair und Nextstar, die in den eher konservativen „fly over states“ sehr viele Kunden haben, empörte Werbetreibenden die Bude ein. Doch nur weil Trump es nicht lassen konnte, seinen Senf auch noch dazuzugeben, bedeutet das nicht, dass er selbst „massiven Druck“ ausgeübt hat. Aber es stimmt natürlich, dass Trump den Rauswurf von Kimmel öffentlich gefordert hat und im Gegensatz zu vielen anderen Dingen, die er täglich öffentlich fordert, sah es anfangs so aus, als ginge sein Wunsch in Erfüllung.
Die Forderung nach einer Entschuldigung für die Behauptung Kimmels, die MAGA-Leute selbst knallten sich in Utah gegenseitig ab, stand also im Raum. Kimmel lehnte ab. Mit den bekannten Folgen. Was dann geschah, war die Akklamation Kimmels zur Ikone der Meinungsfreiheit und der unterdrückten Demokratie, denn wenn es eines gibt, auf dass sich dessen Fans einigen können, dann dass Trump immer auf der falschen Seite jeder Geschichte steht. Wir lernen: wenn ein TV-Host, der einige Zehnmillionen Dollar im Jahr verdient und zu diesem Zweck noch mehr Geld des Senders verbrennt, auf diesem Sender nicht jeden Unsinn von sich geben kann, ist die Meinungsfreiheit bedroht und die Doomsday-Clock steht auf Fünfminutenvordiktatur.
Das ist putzig, denn diese Regel gilt nicht für jeden. Als derselbe Sender Roseanne Barr für einen Tweet feuerte (den sie schon gelöscht und sich dafür entschuldigt hatte hatte), wurde sie aus ihrer eigenen Serie entfernt, die im Gegensatz zu Kimmels Show sogar Gewinn für den Sender machte. Barr, übrigens Comedian wie Kimmel, hatte zur Wahrnehmung ihrer Meinungsfreiheit noch nicht einmal die Infrastruktur des Senders genutzt, was ihr aber auch nicht half. Kein Protest, kein wütender Brief an ABC und kein Verweis auf die Meinungsfreiheit rettete ihre Karriere.
Als Tucker Carlson bei Foxnews gegen musste – man weiß bis heute nicht wirklich sicher, warum – feierte Kimmel dieses „schrecklich erfreuliche Ereignis“ in seiner Sendung. In seinem „Comeback“ beschwört Kimmel nun christliche Werte und Vergebung, dabei war er es, der es lustig fand, Ungeimpfte vor dem Eingang von Kliniken verrecken zu lassen. Man kann das alles ganz lustig oder grässlich und sogar Kimmels bezahlten Kurzurlaub für ein falsches Signal halten. Was es aber nicht war – und jetzt müssen wir mal die Kategorien glattziehen –, ist ein „Angriff auf die Meinungsfreiheit“.
ABC ist nicht Facebook oder Twitter, sondern ein Medienunternehmen, das sich von jedem, der gesendet werden will, ein recht umfangreiches Vertragswerk unterschreiben lässt, in dem genau geregelt ist, was gesagt und nicht gesagt werden darf. Die Freiheit besteht darin, dem Vertrag zuzustimmen, für die moralische Anpassungsfähigkeit fette Honorare zu kassieren oder den Raum zu verlassen. Stellt der Sender einen Vertragsbruch fest, kann er entsprechende Maßnahmen ergreifen. Kimmel ist da nicht besser gestellt aus jeder Kaffeekellner bei Starbucks, der seine Angewohnheit, die Kunden zu beleidigen und zu beschimpfen, als Meinungsfreiheit verstanden wissen will, wenn ihm sein Chef zeigt, wo die Tür ist.
Als Whoopy Goldberg 2022 in „The View“ die unfassbar dämliche Bemerkung machte, der Holocaust sei ja eigentlich kein Rassismus, sondern eher so ein powerdynamisches Ding „among white peoples“, war sie für eine Woche weg vom Sendefenster. Jetzt scheint man bei Kimmel einen ähnlichen Weg gegangen zu sein, wobei sich Whoopy Goldberg für ihre Äußerung entschuldigte und Jimmy Kimmel nicht. Zeit, noch mal etwas genauer zu betrachten, wie es sich in der Kimmelsache mit Druck und Gegendruck und der Lobo’schen Bigotterie wirklich verhält.
Wo der Druck nicht herkommt…
Der Druck der Sendernetze Sinclair und Nextstar auf ABC und Disney war wohl nicht groß genug, denn beide strahlen Kimmels Show nach wie vor nicht aus, was bedeutet, dass die ABC nun noch weniger an der Sendung verdient, wenn man mal vom Hype der „Auferstehung Kimmels“ nach der Zwangspause absieht, bei der alle auf eine Entschuldigung lauerten, die nie kam.
Der Druck der „demokratiefeindlichen Trump-Regierung“ hat offensichtlich auch nicht ausgereicht, denn Kimmel ist ja wieder auf Sendung. Selbst die Gefahr, die Sendelizenz der FCC zu verlieren (Kimmel hat die Unterstellung, die zu dem ganzen Ärger führte, nicht korrigiert), war nicht Druck genug. Stattdessen ist er ins flache Wasser des „Missverständnisses“ ausgewichen: Trump könne eben keine Witze ertragen.
Doch wenn das alles so ist, woher kam dann der Druck, der Kimmel zurück brachte? Waren es die Flamberge schwingenden Lobos, die „sagen, was ist“? Oder die solidarischen Late-Night-Hosts, die todesmutig „Wir sind alle Jimmy Kimmel“ riefen (weil ihnen zum „Je suis Charlie“ der Mut fehlt), während sie auf Trumps Blitze warteten, die nie kamen? Oder waren es die Demonstranten? Die Demokraten? Auch hier loht sich mal wieder ein Blick auf die Leerstelle, auf das, was nicht da ist: Drohungen eines rechten Mobs, der es nicht verkraftet, dass Kimmel wieder sendet, die gab es nämlich nicht.
…und von wo sehr wohl
Stattdessen das hier. Am 19. September feuerte der 64-jährige Anibal Hernandez Santana, ein Anwalt im Ruhestand, mehrmals auf eine ABC-Station in Sacramento, Kalifornien. Die Schüsse durchschlugen die Scheibe eines Aufenthaltsraums, zum Glück kam niemand zu Schaden. Polizei und Staatsanwaltschaft gehen nach der Durchsuchung von Auto, Wohnung und Social Media Accounts des Täters davon aus, dass es sich um eine politisch motivierte Tat handelte. Warum aber sollte ein offensichtlich Trump hassender Anwalt mit Hang zur Selbstjustiz wohl ausgerechnet auf ein Gebäude von ABC feuern, nachdem dort zwei Tage zuvor Jimmy Kimmel vom Programm genommen wurde und die Medien hysterisch „Trump cancelt Kimmel! Die Demokratie ist in Gefahr!“ brüllten? Da will mir aber so gar nichts einfallen…
Vielleicht finden wir hier etwas: Die Sinclair Broadcast Group – sie wissen schon, das Sendernetzwerk, das sich weigert, Kimmels Show auszustrahlen – änderte ihre Pläne, die Gedenkveranstaltung zu Ehren Charlie Kirks zu übertragen, sehr kurzfristig. Der Sender duckte sich nach „lokalen Drohungen [Plural] gegen bestimmte lokale ABC-Sender infolge der ABC-Suspendierung“ weg und übertrug den Livestream nur auf seinem YouTube-Kanal. Auch hier: nichts zu sehen, alles bestens.
Schauen wir also mal bei Kimmel selbst vorbei, der sich bei seiner erfolgreichen Wiederauferstehung nach seinem kleinen bezahlten Urlaub in Selbstmitleid erging und es peinlichst vermied, auch nur dem Ansatz eines Bedauerns für seine Unterstellung Ausdruck zu verleihen. Doch was soll man auch machen als Frontkasper, der auf einen ganzen Zirkus von Schreibern und Narrativpflegern angewiesen ist, wenn hinter den Kulissen die Mitarbeiter mit Kündigung drohen, sollte Kimmel es auch nur wagen, den Versuch einer Entschuldigung zu machen.
Er konnte es nicht, kann es nicht und wird es in dem Format nie können. Doch der kleine lichte Teil meiner finsteren Seele, der immer noch an das Gute im Menschen glaubt, will erkannt haben, dass Kimmels Beinahe-Tränen genau die Momente markieren, als ihm bewusst wurde, dass sein Sender mehr oder weniger mit vorgehaltener Waffe gezwungen wurde, ihn wieder auf die Bühne zu schicken. Schweig still, naives Seelchen! So geht eben Kimmel-Demokratie, so fühlt sich die Jimmy-Meinungsfreiheit an. Und er wird liefern, bis ABC der Show den Stecker wegen unteririscher TV-Quoten ziehen kann, sobald der Mob mal abgelenkt ist, weil Trump wieder etwas gesagt hat.
Die konfliktscheue Ökonomie des klassischen TV fegte Kimmel vom Sender, doch die sehr glaubhafte linke Gewaltdrohung zerrte ihn dorthin zurück, wo er der Blase weiter das liefern wird, was sie so dringend braucht: Futter für das Orange-Man-Bad-Narrativ.
Man schaue nur mal auf Kimmels Zweitverwertungsplattform YouTube und vergleiche die Anzahl der Aufrufe seiner Videos. Sobald Trump im Titel auftaucht, verzehnfacht sich zuverlässig die Reichweite. Das sind keine Ausreißer, das ist der Klang der Echokammer. Nicht mal ein Clip Kimmels mit dem großartigen Denzel Washington als Gast schaffte es auf mehr als die Hälfte der „Trump-Bad“-Stücke. Nichts füttert Blase und Algorithmus zuverlässiger, nichts bringt bessere Quoten, als sich an Trump abzuarbeiten – zumindest Online, denn im eher konservativ geprägten Broadcast-TV schaltet das Publikum einfach ab oder zappt weiter.
Eine Entschuldigung und sei sie noch so klein und halbherzig, hätte dieses Kapital zerstört, denn wer einmal aus der Reihe tanzt, den frisst der woke Mob noch schneller als jeden beinharten Republikaner. So waren Kimmels halbe Tränen wohl doch nur für Kimmel selbst fast vergossen. Der Mord an Charlie Kirk ist in seiner Blase längst verdrängt und umgeframed, die Gewalt muss immer von rechts kommen, wer etwas anderes behauptet, lebt gefährlich.
Der Preis der Sicherheit
Um zu sehen, wie gefährlich, schauen wir zum Abschluss nochmal in die Lücken, an die scheinbar keiner denkt und kommen von der behaupteten rechten Bedrohung zu den tatsächlichen Maßnahmen, die man einer tatsächlichen Gewalt schon lange entgegensetzen muss. Dazu vergleiche man die Kosten, die ein Veranstalter, eine Stadt oder Universität aufwendet und bei politischen Großveranstaltungen in Rechnung stellt. Es ist schon bemerkenswert, dass linke Redner und Podcaster ihre Sicherheitsvorkehrungen nicht signifikant erhöhten, obwohl Kimmel doch insinuierte, dass da draußen MAGA-Typen mit Waffen herumlaufen, die sogar ihre eigenen Leute abknallen. Wie gefährdet müssen da erst deren politische Gegner sein? Nun, nicht sehr gefährlich, wenn man den Zahlen glauben darf.
Sicherheitsvorkehrungen bei Wahlkampfveranstaltungen der Republikaner sind zwei bis zwanzigfach teurer als bei Veranstaltungen ihrer Kollegen von den Demokraten. Die Zahlen sind nicht leicht zu finden, aber wenn man am selben Ort im selben Jahr zu etwa gleicher Zeit so extreme Unterschiede feststellt, ergibt sich ein klares Bild von der Bedrohungslage. Und es geht hier nur um die Aufwendungen des Veranstaltungsortes, nicht die zusätzlichen Kosten für Security-Details, die sich aus der Funktion und dem Schutzstatus der auftretenden Person ergeben. Hier zwei Beispiele aus 2019 bei den Rallys von Bernie Sanders und Donald Trump in Minneapolis (ca. 1 zu 25) oder El Paso (ca. 1 zu 10). Grund dafür sind nicht schießwütigen MAGA-Typen, sondern die gewalttätigen Gegendemonstrationen, mit denen linke Politiker heute offensichtlich nicht rechnen müssen.
Noch besser erkennt man das Ungleichgewicht der Kosten an sehr isolierten Orten wie Universitäten. Für den Campus-Talk von Ben Shapiro im Jahr 2017 stellte die Uni Berkeley an Security mindestens 600.000 Dollar in Rechnung, für die „Free Speech Week“ mit mehreren konservativen Sprechern (von denen einige aus Angst wieder absagten) waren es gar 3,9 Millionen Dollar, wohingegen die Sicherheit für den linken Gegenprotest, die „Rally Against Hate“ mit 190.000 Dollar geradezu ein Schnäppchen war.
Von wegen Überraschung!
Womit wir wieder bei Sascha Lobo vom Spiegel angelangt sind, der sich in seinem Artikel in Sprüngen und wirren Wendungen an einer Weltkarte der Gesäßgeografie von ganzweitlinks bis ganzweitrechts abarbeitet und ein komplexes metaphysisches Gedankengebäude der Bigotterie errichten will. „Die Bigotterie der Rechten ist bösartig und menschenfeindlich. Die Bigotterie der Linksautoritären ist realitätsavers und totalitär. Die Bigotterie der Linken ist naiv und realitätsfern und aus Gründen der Bockigkeit offenbar nur schwer abzuschütteln. Die bürgerliche Bigotterie aller bürgerlich-politischen Strömungen (von konservativ über liberal bis progressiv) aber ist zum Glück situativ, opportunistisch und oberflächlich.“
Das klingt alles sehr klug, pseudowissenschaftlich und hochtrabend, aber vor allem sehr unpraktisch. In der Realität scheint mir die Lobo’sche Klassifizierung der Bigotterie nicht geeignet, zu erkennen, woher die Gefahr für Demokratie und Meinungsfreiheit kommt. Dazu ist die Frage, wer wen bedroht, welche Gegenmaßnahmen ergriffen werden müssen, wer wen verleumdet, delegitimiert, niederbrüllt, zusammenschlägt und letztlich sogar erschießt, besser geeignet. Wer all das unterlässt, auf dessen „Seite“ stehe ich – welche auch immer das sein mag. Dort ist die Überraschung auch nicht so groß wie die von Sascha Lobo, dass Jimmy Kimmel nach fünf Tagen wieder „on air“ ist.
…und bin so schlau als wie zuvor.