Besonders die Grünen nahmen die Nachricht gar nicht gut auf, dass die Richterwahl im Bundestag vorerst abgesagt würde. Britta Haßelmann steigerte sich am Rednerpult in einen Wutanfall hinein und ging hart mit der Union ins Gericht. Merz und Spahn hätten ihren Laden nicht im Griff, Merz und Spahn hielten sich nicht an Abmachungen, Merz und Spahn beschädigen das Parlament, das Verfassungsgericht und überhaupt die Demokratie und den ganzen Rest.
Das klang in der Pressekonferenz vor der Entscheidung noch völlig anders. Man hatte der Union die Werkzeuge gezeigt, die „Unseredemokratie“ für Abweichler und Systemsprenger bereithält und glaubte noch, die Nachricht sei verstanden worden. Und wurde sie das letztlich nicht auch? Der Rettungsanker von SPD, Links und Grün war schließlich, dass die Wahl nicht stattfand und nur verschoben wurde. Wären Merz und Spahn aus besserem, geraderem Holz geschnitzt, hätte man die Wahl nämlich durchgezogen, und eine Erkenntnis hätte sich Bahn brechen können, dass Merzens „Links ist vorbei“ von vor der Wahl nicht nur opportunes Gerede war und dass die alte Tante Union – so wenig von ihr auch übrig sein mag – nicht als Beschaffer linker Mehrheiten zu haben ist.
Doch es kam anders, der Showdown wurde vertagt. Die 50 angekündigten Abweichler in der Union können nun zwar mit erhobenen Köpfen in ihre Wahlkreise fahren und müssen dort nicht schon wieder die Bücklinge ihrer Parteiführung vor linken Begehrlichkeiten erklären, wie nach dem Ende der Schuldenbremse mit Hilfe eines längst abgelösten Bundestages. Stattdessen werden die Emissäre von SPD und Grün von Abgeordnetentür zu Abgeordnetentür ziehen, um die Sommerpause des Parlaments mit Phrasen von „unsere Demokratie“ und „Verantwortung“ zuzumauern.
Die Macht des einzelnen Abgeordneten
In den Medien erfährt der anleitungsbedürftige Demokratiebeobachter unterdessen, wie groß der Schaden sei, den die Weigerung eines Teils der Union, linke Juristen mit radikalen Agenden zu Verfassungsrichtern zu ernennen, in der Demokratie angerichtet habe. Wir lernen: Demokratie ist nur, wenn der Ausgang einer Wahl vorab feststeht, wenn Absprachen, die Gremien in Hinterzimmern treffen, eingehalten werden und die Gewissen der Abgeordneten – die einzige Abgeordnete steuernde Instanz, die im Grundgesetz Erwähnung findet – im Gleichschritt laufen.
Wie man als gut geöltes, leises und zuverlässiges Abgeordnetenrädchen im Getriebe der Macht zu funktionieren hat, plauderte Lisa Badum von den Grünen auf X aus: „Ich kann mich gut an die Ampel-Regierungszeit erinnern. Uns Abgeordneten wurde jeden Tag klargemacht dass wir eine Regierung tragen und Mehrheiten zu sichern haben.“ Man kann sich das Leben eines solchen Abgeordneten wohl wie das eines Huhnes vorstellen, von dem der Bauer jeden Tag ein Ei erwartet. Der Bürger wählt die Hühner, nicht den Bauern.
Nun sind Absprachen zum Stimmverhalten in den Fraktionen nicht neu, denn gäbe es sie nicht, bräuchte es nicht das Amt des Fraktionsvorsitzenden. Doch handelt es sich dabei nicht um Gesetzmäßigkeiten, sondern um rein informelle Gepflogenheiten, die nirgends gesetzlich geregelt sind. Versuchte man das, verstieße man sofort gegen Artikel 38 des Grundgesetzes. Da hilft es auch nicht, wie Ruprecht Polenz auf die Empfehlung des Richterwahlausschusses zu verweisen, der doch schließlich eine ausreichende Mehrheit für die drei Kandidaten erbracht habe. Die Empfehlung des Wahlausschusses bindet nicht.
Es sind die Abstimmungen im Plenum, in denen sich die Macht des einzelnen Abgeordneten manifestiert und somit jede Absprache, Tradition oder Gepflogenheit sprengen können. Das ist Demokratie in ihrer ursprünglichen Form und wäre es auch am 11. Juli im Bundestag gewesen, wenn die Spitzen von SPD und Union ihr nicht in den Arm gefallen wären.
Durchzogen von Tabuzonen
Die Empörung darüber, dass sich Abgeordnete nicht an die tradierten Regeln halten, ist so groß wie verlogen und alt. Denn der Politbetrieb ist längst durchzogen von Tabuzonen, welche die Traditionen ersetzt haben. Manche bewegen sich auf einer eher persönlichen Ebene: ein verweigertes „Guten Tag“ oder die vermiedene gemeinsame Reise mit dem politischen Gegner im Fahrstuhl. Andere betreffen physikalische und medizinische Selbstverständlichkeiten wie angemessene Räumlichkeiten. Wieder andere, die politische Teilhabe betreffend, schienen lange Zeit so selbstverständlich, dass man auch sie nicht gesetzlich erzwingen musste, etwa die Wahl eines Bundesrichters, eines Ausschussvorsitzenden oder Bundestagsvizepräsidenten.
Wer nun also die Demokratie beschädigt sieht, weil eine Wahl nicht so ausgehen würde wie vorher ausgehandelt, sollte sich fragen, ob er in vergleichbaren Situationen ebenso reagiert hat. Der Unterschied zwischen der Wahl eines Bundestagsvizepräsidenten der AfD und Richterinnen, welche SPD, Linke und Grüne gern im Verfassungsgericht hätte, besteht darin, dass letztere Wahl erst gar nicht stattfinden durfte, weil man ihren Ausgang fürchtete. Und es waren die politischen Gremien in SPD und CDU/CSU, die den gewählten Abgeordneten und damit der Demokratie in den Arm gefallen sind. Eine Wahl nicht stattfinden zu lassen, ist nicht besser, als sie rückgängig zu machen.
Zuerst erschienen auf Achgut.com
Florian Friedman hatte mal die passenden Ausdrücke Cargo-Demokratie und Cargo-Rechtsstaat in den Raum geworfen. Das erklärt sich im deutschen Sprachraum nicht so leicht. Hier seine Erklärung:
https://www.achgut.com/artikel/die_rituale_demokratie
Gemeint ist natürlich, dass mittlerweile die Betriebsblindheit der Schickeria an Autismus grenzt. Störung im Alltagstrott? Kein Problem: Zornausbruch! Merz fällt beim ersten Anlauf durch? Kein Problem: Verfassungskrise ausrufen! Eignungserwägungen von Richterinnen in Parlament und Öffentlichkeit. Ein Klacks: „Reichrechtshetze!“
Den Autismusstaat in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf. Merz wurde und Frau Brosius-Gersdorf wird es. Beide vom Tisch. Vom Tisch kann gut bezahlt sein. Ganz Brüssel ist „vom Tisch“.
Auch vom Tisch, also bald in Karlsruhe, ist Ann-Katrin Kaufhold, die die Unabhängigkeit von Zentralbank und Gerichten nutzen will, um „unpopuläre Maßnahmen anzuordnen“.
https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_100825414/verfassungsgericht-wahl-die-zweite-spd-kandidatin-ann-katrin-kaufhold.html
Wie man den Worten „unpopulär“ und „anordnen“ schon entnehmen kann, meint sie nicht unabhängig von einer institutionellen Machtkonzentration z.B. im Kabinett (oder Politbüro, oder Palast etc.), sondern vom Wähler. Sie will anderen Befehle erteilen, ihnen Unpopuläres anordnen.
Also, Ann-Katrin, wir können auch in die andere Richtung marschieren. Du bist nicht meine Mama und ich bin sogar bereit, mich mit einem Bluttest von dir zu distanzieren. Du bist nur irgendwer. Von mir aus können wir auch Verfassungsrichter und Zentralbankpräsidenten direkt wählen. Die „Unabhängigkeit“ der Zentralbank ist ein sehr junger Fetisch. Als monetäre Politik noch in den Händen von Reagan und Thatcher lag, hatten wir eine fiskalisch verantwortungsvollere Situation als heute und mussten uns über Überwachungsgeld keine Sorgen machen.
Brosius-Gersdorf will dem Wählerwillen mit Geschlechterparität Einhalt gebieten. Für Zwangsmedikamentierung setzte sie sich sogar ausdrücklich ein. Ich könnte jetzt ellenlang schreiben, warum mich das aufregt. Stattdessen reib ich mir die Augen, weil mir die hochnotwichtige Menschenwürde von Föten wurscht ist, denen niemand, auch wohlgemerkt nicht die Professorin, ein Haar krümmen will. Ich kann Haare nicht längst dritteln, aber Deutsche fluten die Emailserver und drohen mit Mord und Totschlag, weil es endlich mal um etwas geht, das um nichts geht. Der Bundestagsserver wäre ganz hochgegangen, wenn sie verkündet hätte, dass „auch in den ersten Schwangerschaftswochen die Bausparvollkasko nicht abzusetzen ist.“
Ich möchte wetten, dass wir alle drei Kandidaten noch vor Ende des Jahres in Lohn und Brot sehen werden – beim Bundesverfassungsgericht.
Denn der Sommer wird genutzt werden, um die Abweichler von der Gefahr für Unseredemokratie zu überzeugen, die ihre Entscheidung heraufbeschworen hat.
So wird’s sein. Ich will mich noch unbeliebt machen und was zur nichtlinken Mitschuld schreiben. Wie du ja in den USA schon oft gehört hast, ist die Linke zwar die bösartige Partei, aber wir Nichtlinken stellen die „dämliche Partei“.
Die dämliche Partei behauptet im Moment, dass Brosius-Gersdorf Abtreibungsbefürworterin sei. Sie ist Gegnerin und spricht von einem Lebensrecht ab Einnistung der Eizelle (Nidation). Max Mannhart von Apollo News sagt, „Es wird immer gesagt, ‚Ja, Frauke Brosius-Gersdorf hätte ja nie gesagt, dass man bis zum neunten Schwangerschaftsmonat abtreiben sollte.‘ Hat ja auch niemand unterstellt. ‚“
https://youtu.be/wnZaVBVkg-Y?t=230
Ja, doch! Apollo News hat vielleicht alles richtig wiedergegeben, aber die meisten behaupten sehr wohl, sie hätte sich für mehr Abtreibungen stark gemacht – gern auch mit dem Spätabtreibungsschwenk.
Das ist jetzt wahnsinnig bequem für die Linken, weil die demokratiefeindlichen Positionen untergehen. Die Frau tritt für ein Bequemlichkeitsparteienverbot ein.
Das Gleiche läuft wahrscheinlich mit „Kopftuch ja, Kruzifix nein“. Ich hab keine Lust zu recherchieren, aber ich wette, sie lässt auch Lehrer und sonstige Beamte mit Kruzifix-Schmuck und Bekenntnis-Kleidungsaufdruck durch Schulen und Behörden rennen. In dem Videoausschnitt, den ich gesehen hab, ging es nur um die Bekenntniszuordnung von Symbolik von (nicht vorgeschriebener) Bekleidung und Einrichtungsgegenständen.
Ich kann nicht mal bestätigen, ob sie inkonsistent wird und ihr Genderkram in die Verwaltungssprache drücken will. Dafür müsste ich das alles lesen:
https://www.jura.uni-hannover.de/de/forschung/forschungsbereiche/einzelansicht/projects/drittmittelprojekt-geschlechtergerechte-sprache-in-theorie-und-praxis-studie-zur-aktuellen-situation-aus-linguistischer-phoniatrisch-psycholinguistischer-und-juristischer-perspektive
Es kann auch um Rechtssicherheit von abgelehnten Bewerbungen in vielleicht auch privatwirtschaftlichen Personalabteilungen gehen. Keine Ahnung.
Vielleicht ist sie mal für Bekenntnisneutralität staatlicher Einrichtungen (in Deutschland bislang übrigens leider kein Verfassungsprinzip), wenn es um Kruzifixe geht, und mal dagegen, wenn es um die Feminismusreligion geht.
Aber die potentielle Widersprüchlichkeit und Freiheitsfeindlichkeit ihrer echten Positionen kann man jetzt nicht zur Sprache bringen, weil wir, die „dämliche Partei“, lieber über Positionen reden, die sie nicht hält.
Und so kann die Linke uns mal wieder sämtliche Möglichkeiten, auf Gesetzgebung, Rechtsdurchsetzung und Budgetierung einzuwirken, nehmen, während priorisierungunfähige, legasthenische Katholiken in den Sessel furzen oder zum Fötenschutz nicht bedrohter Föten mobilisieren.
Nachdem ich so herablassend formuliert hab, muss ich mich auch noch korrigieren – jedenfalls präzisieren. Abtreibung würde nach ihrem Vorschlag doch ein winzig kleines bisschen einfacher, weil man keinen Beratungsschein braucht. Für den Embryo ändert sich nichts. Für den Fötus erst recht nicht. Haarspalterei!
Wir leben in einer Parteien Oligarchie! Echte Demokratie geht anders. Hinterzimmer Absprachen regieren das Land. „Unsere Demokratie“ folgt der Politik der DDR.
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