„Dem deutschen Volke“ steht über dem Westportal des Reichstages in Bronze geschrieben und so wie nach dem Bau des Gebäudes 20 Jahre lang gestritten wurde, ob und welche Inschrift das Architav zieren solle, steht die Inschrift heute wieder in der Kritik: Nicht inklusiv, nicht divers genug. Indes hält man sich heute nicht mit der Beschriftung auf, es geht um den Inhalt des Gebäudes, die Zusammensetzung des Parlamentes, die nicht mehr in die Zeit passe. Das ZDF bereitet das Thema in einer interaktiven Webseite auf und klärt mit Versatzstücken zweier Politikwissenschaftlerinnen darüber auf, „welche Bevölkerungsgruppen im Bundestag fehlen – und warum das ein Problem ist“.

Screenshot, Gruppendenken beim ZDF

„Nicht alle Bevölkerungsgruppen sind ausreichend im Bundestag vertreten – manche sogar gar nicht.“

Das Land, so lernen wir, zerfällt in eine kaum zu beziffernde Anzahl von Gruppen, die nichts anderes im Sinn haben, als ihre kleinen, spezifischen Gruppenbedürfnisse in den Parlamenten gespiegelt zu sehen. Was vermisst wird, ist aber nicht etwa die parlamentarische Zuneigung oder die Möglichkeit, all die kleinen und verschiedenen Gruppenleben ganz im stillen und unbehelligt von Legislative und Exekutive schon heute ausüben zu können – es gelüstet vielmehr nach Machtausübung und finanziellen Zuwendungen. Ins Licht schiebt man dazu gern jene Gruppen, die per Definition weder das eine noch das andere erlangen können und somit unverdächtig sind.

„Studien zeigen eindeutig, dass die Präferenzen von Personen mit geringerem Einkommen und geringerem Bildungshintergrund schlechter repräsentiert werden.“

Außerdem gilt: wer es mit geringem Einkommen in den Bundestag schafft, hat kein geringes Einkommen mehr und ein geringer Bildungshintergrund lässt sich dort praktisch unter vielen Zwiebelschichten eines erfundenen Lebenslaufes und dem geliehenen Eichenlaub akademischer Meriten verstecken. Beim „geringen Bildungshintergrund“ droht allerdings auch Glatteis, liebes ZDF. Schließlich seid ihr immer vorn dabei, wenn es darum geht, gerade die Wähler der Schwefelbubenpartei als genuin ungebildet und abgehängt zu klassifizieren und dass ausgerechnet diese unterrepräsentiert sein könnten, kam euch sicher nicht absichtlich über die Lippen. Aber lassen wir das mal so stehen. Den ZDF-Expertinnen fallen noch andere Gruppen mit unerfülltem Vertretungsanspruch ein.

Den Jüngeren, den Älteren und den Frauen fehle angemessene parlamentarische Repräsentanz, ebenso Menschen ohne deutschen Pass. Ich möchte dringend hinzufügen, dass auch an Radfahrer, Brillenträger und Menschen unter Einssiebzig gedacht werden muss, was das ZDF leider vergessen hat. Ebenso die Tatsache, dass die Gruppen Schnittmengen haben, schließlich gibt es auch Brille tragende ältere Frauen geringen Einkommens ohne deutschen Pass unter Einssiebzig. Man könnte vielleicht…ich suche nach einem passenden Begriff…ich hab’s: gruppenbezogene Überhang- und Ausgleichsmandate einführen, falls eine Gruppe über oder unterrepräsentiert ist. Der nächste Bundestag wird ohnehin fast 1.000 Abgeordnete haben. Auf ein paar Hundert zusätzlich kommt es da nicht an. Und denken wir nur an den angenehmen Nebeneffekt der Arbeitsbeschaffung, weil all diese Abgeordneten Büroleiter, Referenten und Lastenfahrradfahrer brauchen werden. Berlin, du bist so wunderbar!

Wer also dachte, es sei schon schlimm genug, dass dieses Land als Beute unter die Parteien gefallen ist, dem fehlt es einfach an Phantasie, sich das große Fressen vorzustellen, wenn erst alle zur Speisung zugelassene „Gruppen“ sich am Buffet die Teller füllen. Genauer gesagt jene Vertreter, die diese Gruppen definieren, in die Arena schieben und lautstark deren Partizipation fordern.

Nachdem man das Herzensprojekt Integration offenbar für gescheitert hält, möchte man gleich zur Inklusion schreiten und betont das Trennende, statt sich politisch auf jenen kleinsten gemeinsame Nenner zu verständigen, der in Bronze über dem Westportal schwebt. Das muss man wohl, denn dieser Nenner wird immer kleiner und die Schnittmenge der im Bundestag verhandelten Interessen ist mittlerweile so winzig bzw. verengt, dass sie kaum noch trägt. Ich will das Krautjunkertum gar nicht glorifizieren, das ursprünglich auch hinter „Dem Deutschen Volke“ die Hacken zusammenschlug, aber zumindest gab es vor 100 Jahren keine Bauchschmerzen, in diesem Spruch ganz unabhängig von Herkunft, Dialekt, Religion oder Vermögen irgendwie „mitgemeint“ zu sein, während sich heute „Strukturen und Prozesse […] mit Blick auf neue Personen verändern“, so das ZDF.

Diversifiziere und herrsche!

Interessant ist die Begründung dieser Diversifizierungsbemühungen. Im ZDF verweist man auf eine Studie, der zufolge 35 Prozent der Menschen in Deutschland denken, das Land sei nicht demokratisch regiert. Dass die fortschreitende Diversifizierung die Ursache der Unzufriedenheit und nicht etwa das Rezept dagegen ist, auf diese Idee kommt das ZDF nicht. Doch dieselbe zitierte Studie findet auch heraus, dass 38 Prozent glauben, die Politik vertrete vor allem die Interessen einer kleinen Gruppe. Da geht noch was, denkt man sich im Mainzer Lerchenberg und möchte „eine kleine Gruppe“ gleich durch viele Gruppen ersetzen.

Man setzt auf „Diversität im Bundestag“ und hetzt aufgeheizte und maximal formulierte Partikularinteressen aufeinander. Das schaffe auch „neue Rollen- und Vorbilder“ und so bekommt nicht nur in den öffentlich-rechtlichen Medien, sondern vielleicht auch im Parlament bald jeder seinen Dschihad. Für die Hauptaufgaben des Parlaments, die Kontrolle der Exekutive, bleibt dann praktischerweise keine Hand mehr frei, denn jede Gruppe braucht beide, um den Abstand zu anderen Gruppen zu definieren und gleichzeitig nach dem Kellner zu winken, der all die köstlichen Speisen aus der Steuerzahlerküche trägt, die der jeweiligen Gruppe selbstverständlich und gemäß Proporz und Lautstärke zustehen.

Nicht nur im ZDF träumt man den Traum vom atomisierten, machtlosen Parlament der streitenden Partikularinteressen. Auch der Kanzlerkandidat der SPD verspricht Vollzug in diesem Sinne, wenn er für den Fall seines Sieges ein „paritätisches Kabinett“ verspricht.

Beim #Triell ging es um Koalitionen. Dazu sage ich: Der 26.9 ist der große demokratische Moment der Bürger*innen. Wer die SPD wählt, bekommt mich als Bundeskanzler und ein paritätisches Kabinett mit gleich vielen Männern und Frauen, die gemeinsam eine starke Regierung bilden.“ (Olaf Scholz auf Twitter)

Bei dem erwähnten „demokratischen Moment“, der für Ankreuzen und Zettelfalten großzügig bemessen ist, wird es für den Bürger auch bleiben, denn die gruppenbezogenen Verteilungskämpfe stehen über dem Wahlergebnis und sind noch kleinteiliger und unversöhnlicher als „Männer und Frauen paritätisch“ auf Ministerposten. Denn wie wir wissen, bilden Frauen und Männer zumindest manchmal sogar gemeinsame Gruppen – Familien genannt – die der wunderbunten Welt der Partikularinteressen (sehr zum Leidwesen einiger Parteien) meist widersprechen.

Praktischer weil unversöhnlicher sind da schon Schulabbrecher und Studienabbrecher, Trotzkisten und Stalinisten, Bahnfahrer und Lastenfahrradfahrer, Nord und Süd, Dick und Doof…auf Kabinettsposten. Alle werden nach ihrem gerechten Anteil der Beute verlangen. Geschlecht vor Eignung, Parität vor Qualität. Die ganze quoten- und proporzbasierte Politik ist ein einziges Misstrauensvotum gegen den Wähler, weil man dessen Wahlmöglichkeiten vorsortiert oder im Nachhinein per Geschäftsordnung in die gewünschten Bahnen lenken kann.

Zudem neigen durch Diversität und Parität definierten Gruppen dazu, ihre Privilegien mit Klauen und Zähnen zu verteidigen. Die Legitimität ihrer Repräsentanten ergibt sich nicht aus Wählerstimmen aufgrund erwiesener oder zumindest vermuteter Kompetenz, sondern vor allem aus deren Gruppenzugehörigkeit. In einer durch und durch paritätischen Welt ist eine Wahl nur noch Formsache, weil deren Ausgang per Gesetz gesteuert werden kann. Das mag kürzlich noch einmal gescheitert sein, was aber nicht heißt, dass man es nicht an anderer Stelle und immer wieder versuchen wird.

Die Libanonisierung Deutschlands

Die Wortwahl „paritätisches Kabinett“ im Tweet von Olaf Scholz mag oberflächlich nach Gerechtigkeit klingen. Für mich wohnt dem Begriff der Weg in den molekularen Bürgerkrieg und in den unvermeidbaren Untergang inne. Der mag noch etwas auf sich warten lassen, ist auf diesem Weg aber unvermeidbar. Kurz: man kann von einer „Libanonisierung Deutschlands“ sprechen, weil bei uns institutionalisierte Parität ebenso zu wechselseitiger Missgunst, ergaunerten Privilegien, politischen Grabenkämpfen, Inkompetenz, Korruption und Zerfall führen wird, wie man sie im Zedernstaat gerade im finalen Stadium beobachten kann.

Im Libanon ist es die religiöse Parität, die alle Probleme mit unüberbrückbaren Gräben durchzieht und das Land unregierbar macht. Das bekommen wir hier über kurz oder lang zwar auch, aber Deutschland ist dabei, sich selbst in noch weit komplexere und zahlreichere Partikulare zu zerreißen. Dank vieler Quoten und der völlig irrigen Annahme, so etwas wie die perfekte, anerkannte und gültige Parität überhaupt herstellen zu können, stehen uns wohl vier weitere Jahre bevor, in denen ein immer größeres und damit schwächer werdendes Parlament den sich vollziehenden Abstieg Deutschlands wortreich mit Einheitsbekundungen und Gleichheitsgirlanden umklingelt, während auf den Straßen jeden Tag das Zusammenleben neu ausgehandelt wird. Das ZDF freut sich ganz sicher darauf, verspricht Kriegsberichterstattung doch stets gute Einschaltquoten.

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10 Kommentare

  1. Es wird nicht mehr lange dauern und im Volk wächst der Wunsch nach einem Führer. Mutti war der Testlauf – schau mehr mal was Österreich u.a. so zu bieten haben.

  2. Wieder ein sehr guter Text. Ach, ich bin mittlerweile nur noch deprimiert und erschöpft. Im eigentlichen Machtzentrum, im Hirn der linken BRD, der Holtzbrinckverlag mit dessen Flagschiff „Die ZEIT“, gibt es ein Big-Data-Bürgermanipulationsprojekt mit dem Titel „Die 49“.
    https://www.zeit.de/serie/die-49

    Und genauso soll halt die eeeeeeeeeeeewwwwig-gestri-gäääääääähhhhstrige Demokratie ersetzt werden. Da kann Schäuble noch etwas Räterepublik-Charm herbeischwatzen und fertig ist die Laube. Es werden wahrscheinlich bald persönliche Daten und Einstellungen auf den sozialen Medien ge-mine-t, was das Zeug hält. Das macht die Bevölkerung komplett berechenbar und man hat in künftigen Generationen keine Rechten und Leugner mehr. Wenn man genug Drogen legalisiert, ist auch Soma sozial akzeptiert. Es ist eben alles nur eine Frage der Einstellung. Jedenfalls will man dazugehören im Bullerbü-Slum, weil das inklusiv ist und sachliche, erwachsene Gespräche, Ehrlichkeit, Beziehstiefe, Angstfreiheit und Demokratie sind vooooooooooooooorrrrgääääääääääääähhhhhhhhhhstern und wer will denn bitte schon was von frühhhhhhääääääär, wenn er Zuuuukuuuunnnft haben kann.

  3. Repräsentation ist ja ehr ein Merkmal der schweizer Demokratie. Dort sind ca. 80 % der Stimmvolkes in der Regierung, welche über die Zauberformel zusammengestellt wurde, repräsentiert.
    Wir in Deutschland halten wir es mit Mehrheiten. Repräsentative Demokratie meint hier, wer seine Stimme abgibt, der hat keine mehr.

  4. Bisher hat mir noch niemand hinreichend erklären können, warum ein männlicher Abgeordneter – ohne weitere Teilnahmeberechtigungen in den einzelnen OppressionOlympics-Disziplinen – nicht auch dazu fähig sein soll, neben den Interessen der männlichen Wahlberechtigten seines Wahlkreises auch die Interessen der weiblichen/diversen/kunterbunt pigmentierten/blinden/einbeinigen/brillentragenden/etc. Wahlberechtigten zu vertreten. Ich nahm bisher immer an, dass wir die Ständegesellschaft längst hinter uns gelassen haben und wir mit der Errungenschaft der Aufklärung, das jeder Bürger vor dem Gesetz gleich ist, bisher ganz gut gefahren sind. Stattdessen kamen wir dann – ganz still und heimlich – von „Gleichberechtigung“ zu „Gleichstellung“. Von „Equality“ zu „Equity“. Von „equality of opportunity“ zu „equality of outcome“. Aber man wird sehr schnell sehen, dass die Tröge sich immer zügiger leeren werden, umso mehr sie um sie balgen.

  5. Ich bewundere Herrn Letsch, daß er sich den hirnlosen Dünnschiß dieser Damen antut. Welchen IQ muß man eigentlich vorweisen, um zu zu einem Studium der „Politikwissenschaften“ zugelassen zu werden? Und sitzt bei ZDF und ARD noch irgendjemand, der etwas anderes als „Diversität“ und „Klima“ im Kopf hat? Vielleicht jemand, der – wie z.B. Stefan Aust – eine anständige journalistische Grundausbildung durchlaufen hat? Der tickte (und tickt teils auch heute noch) auch eher links. Aber er beschäftigt(e) sich mit wirklichen Problemen und wahrte immer auch eine gewisse Distanz.

  6. Laut ZDF feh­le Men­schen ohne deut­schen Pass ange­mes­se­ne par­la­men­ta­ri­sche Reprä­sen­tanz und Inklusion durch Diversifizierung? Das rechtfertigt dann auch die vielen Spartenkanäle und Sender, die alle nur das Gleiche bringen. Und natürlich die Klage vor dem sozialistischen Moralgericht… „Bitte einen festes Mandat im Bundestag für das ZDF“. Ein MS-Narrenschiff verlässt das Sonnensystem und nimmt Kurs auf die nächste Galaxie. „Irre, alle Energie in die Phaser und Photonen-Torpedos Feuer frei!“

    • Es geht um: Divide et impera. Möglichst große Zersplitterung und Feindschaft der hundert verschiedenen Gruppen im Land, zentrale und damit unkontrollierte Macht nach Brüssel.
      Serben, Kroaten,Uiguren, Afghanen, Iraker, Iraner, Türken, Kurden, Palästinenser etc. wohnen in eigenen Vierteln, haben eigene Interessenvertreter und bekämpfen sich gegenseitig. Die Eliten sitzen in Brüssel und freuen sich darauf, Katrin freut sich auch drauf und möchte dabei sein.

  7. Libanonisierung – Volltreffer.So einen komplexen Prozess in einem Wort zusammen zu fassen, ist ein sprachliches Meisterstück! Chapeau!

      • Libanonisierung ist im Grunde dasselbe wie Balkanisierung, nur eben ohne Sezession und innerhalb der Landesgrenzen. Fand man voll ausgeformte regionale Parität in Deutschland bisher auf Landesebene, z.B. in Baden-Württemberg (gleiche Besetzung der Landeslisten mit Baden und Württembergern) und Bayern (gleiche Besetzung des Kabinetts mit Bayern und Franken), kommt jetzt das große Experiment der Deutschen Paritätischen Republik.

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