Die Amadeu-Antonio-Stiftung sammelte über 800.000 Euro für Opfer von Till Lindemann. Doch offenbar hat kein Opfer geklagt oder Anzeige erstattet und die Staatsanwaltschaft hat mangels Opfer die Ermittlungen eingestellt. Warum werden die Spenden dann nicht zurückgezahlt? Weil die Profis in der Stiftung wissen, wie man Spendenaufrufe formuliert.

Im Juni schlug die geballte moralische Entrüstung über Rammsteins Till Lindemann zusammen und verdichtete sich zur medialen Verurteilung. Der politisch-moralische Komplex hatte gesprochen, und es war nur noch die formale Aufgabe der Gerichte, den juristischen Casus Belli nachzureichen. Jeder gebotene Konjunktiv war aus der Berichterstattung gewichen und ist bis heute nicht zurückgekehrt. Damals schrieb ich, skeptisch angesichts der wohlfeilen Empörung, „Mögen die Handschellen klicken, wenn es so war!“. Doch nichts klickte. Einerseits ist unser Land womöglich auf dem Weg zum Unrechtsstaat noch nicht so weit abgeglitten, dass man, wie einst Robespierre, die Institution Strafverteidigung einfach abgeschafft hat. Man kann sich wehren, auch gegen Verleumdung. Andererseits ist auch die Staatsanwaltschaft noch nicht so weit politisiert, dass sie Verfahren selbst dann durchziehen würde, wenn es an den elementarsten Dingen fehlt. In diesem Fall an Opfern, die sich bei ihr melden. Alle eingegangenen Anzeigen kamen von unbeteiligten, empörten Dritten.

Die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen gegen Till Lindemann am 29. August 2023 ein. Die Spendenaktion der Amadeu-Antonio-Stiftung (AAS) zugunsten der vermuteten Rammstein-Opfer lief da schon zweieinhalb Monate. Am 1. September, also drei Tage nach der Erkenntnis, dass diese Opfer offenbar nicht aufzutreiben sind, veröffentlichte die Kahane-Stiftung eine Stellungnahme zum aktuellen Stand. Dort war man nicht erfreut, dass es keine Opfer in dieser Sache gibt – was ja strenggenommen eine gute Nachricht ist –, sondern erbost darüber, dass man es mit all den Anwürfen und Verdächtigungen nicht geschafft hat, Lindemann zur Strecke zu bringen. Die Spendenaktion spülte via betterplace.org insgesamt 826.062 Euro in die Kasse, Geld, das den Opfern zugutekommen sollte, die sich aber offenbar nicht mal bei der spendablen Kahane-Stiftung meldeten, um sich dort eine Unterstützung abzuholen. Was wird nun aber aus dem gespendeten Geld?

„Zugang zur Unterstützung ermöglichen“

Solche Fragen auch nur zu stellen, gilt heute in Kreisen des Empörungskomplexes allerdings bereits als gesichert „rechts“. Und so wich die Stiftung in ihrer Erklärung auf das Feld der politischen Verortung und Delegitimation aus und ging in Angriffsstellung.

„Wie leider zu erwarten war, wird diese Nachricht [von der Einstellung der Ermittlungen] nun von rechten Medien und ‚Influencern‘ wieder einmal dazu genutzt, um einerseits mutmaßlich Betroffene zu diffamieren und andererseits Bemühungen zur Unterstützung der Betroffenen durch die Spendenkampagne ‚Wie viel Macht 1 €?‘ zu delegitimieren.“

Ich muss hier heftig widersprechen! Die Idee, Opfern von sexueller Gewalt finanziell und anonym zu helfen, ist eine gute, selbst wenn sie aus einer ideologisch so vergifteten Quelle wie der AAS kommt. Denn Pecunia non olet, das wusste schon Vespasian, und wenn es den Opfern hilft: bitte gern, danke, AAS. Aber hier soll offenbar davon abgelenkt werden, wie das gesammelte Geld nun verwendet wird, da es seinen medial ausführlich besprochenen Spendenzweck ganz offensichtlich nicht erfüllen kann. Aber folgen wir erst mal weiter dem Framing:

„Wie aus der jahrzehntelangen Beratungsarbeit mit Gewaltbetroffenen insgesamt und Betroffenen von sexistischer und sexualisierter Gewalt im Besonderen bekannt, ist die Hemmschwelle eine Anzeige zu erstatten – und sich damit dem Prozess einer juristischen Prüfung auszuliefern – sehr hoch. Scham und die Angst vor Repressalien durch die Täter, vor Reaktionen des Umfeldes und vor psychischen und materiellen Belastungen durch ein Strafverfahren können Gründe sein, warum Betroffene ihre Erlebnisse für sich behalten. Dies ist auch dem gesamtgesellschaftlichen Umgang mit sexualisierter Gewalt geschuldet.“

Das ist soweit völlig richtig, aber in der Causa Lindemann lagen die Fakten doch etwas anders. Erstens gab es bereits mindestens eine Frau, die aus der Anonymität heraus und dann gleich an die Medien herangetreten ist. Nur eben nicht an die Staatsanwaltschaft. Zweitens war das Maß an Vorverurteilung bereits so hoch, dass von erwartbaren Repressalien keine Rede sein konnte. Boykottaufrufe gab es in Richtung Rammstein, nicht an die Frauen, die es wagen würden, sich mit ihrer Geschichte an die ermittelnde Staatsanwaltschaft zu wenden. Und drittens war doch gegen die „psychischen und materiellen Belastungen“ ausdrücklich das Spendenkonto der AAS da. Mit 800.000 Euro in der Hinterhand lässt sich ein Prozess schon bestreiten, zumal mit Prozessbeginn die finanziellen Schleusen erst richtig hochgehen würden.

„Der Vorwurf, dass wir Spendengelder veruntreuen würden, ist falsch und arglistig. Seit Monaten arbeiten wir intensiv daran, möglichst vielen Betroffenen Zugang zu der finanziellen Unterstützung, die sie in ihrer Situation brauchen, zu ermöglichen. Diese Arbeit verliert an keinerlei Berechtigung angesichts der Nachricht über die Einstellung des Verfahrens, im Gegenteil, ihre Notwendigkeit wird dadurch weiter bestätigt.“

Eine geschickte Formulierung, in der Tat. Man arbeitet an der Ermöglichung, und weil das Verfahren eingestellt wurde, muss man eben weiterarbeiten.

„Neben der finanziellen Unterstützung geht es auch darum, einen Rahmen zu schaffen, in dem Betroffene auf professionelle Begleitung zurückgreifen können.“

Und der zu schaffende Rahmen ist man ja letztlich selbst, die AAS und ihre Mündel! Und je stärker man sei, umso besser, wenn mal jemand tatsächlich professionelle Begleitung will. Diesmal hat es halt nicht geklappt, aber das Geld sei schon in guten Händen!

„Aus Gründen des Betroffenenschutzes können wir keine detaillierten Angaben zu unserem Austausch mit Betroffenen machen. Eine öffentliche Kommunikation ist nur möglich, wenn Betroffene dies explizit wünschen.“

Angaben darüber, ob sich überhaupt jemand diesbezüglich gemeldet hat, könnten ja aus dem sicheren Rahmen fallen und zum Beispiel das Verhältnis von Hilfe zu Eigenbedarf in ein schlechtes Licht rücken. Dass man über die konkrete Verwendung der Gelder aus Gründen des Betroffenenschutzes keine Angaben machen will, ist überhaupt das sicherste an dem geschaffenen Rahmen.

„Mit den Angriffen auf unsere Arbeit soll das Ansinnen der Kampagne diffamiert werden.“

Nein, viele stellen nur die Art und Weise infrage, wie das eigentliche Ansinnen der Kampagne nahtlos in einen höheren Zweck hineingedreht wird, der die Spender über die tatsächliche Verwendung der Mittel im Unklaren lässt. Für „höhere Zwecke“ und „Rahmen“ was das Geld ja nicht gedacht.

Doch rechtlich?

Fakt ist, dass die AAS die Spenden hätte zurückerstatten können. Technisch ist das kein Problem. Aber man kann die Mittel auch für andere Zwecke verwenden. Laut betterplace unter einer Bedingung:

Grundsätzlich darfst du bereits gesammelte Spenden auch für einen anderen Zweck verwenden. Es ist jedoch so, dass du deine bisherigen Spender*innen aktiv über diese Änderung informieren musst. Dafür musst du eine Neuigkeit verfassen. 

In diese Neuigkeit muss unbedingt auch dieser Satz: „Wenn du nicht damit einverstanden bist, dass deine Spende für diesen neuen Zweck verwendet wird, kontaktiere mich bitte, damit ich deine Spende dann storniere. Falls du nicht via PayPal gespendet hast, benötige ich dafür deine Bankverbindung.“

Diese Neuigkeit musst du dann auch als Newsletter versenden. Das passiert automatisch sofern du das entsprechende Häkchen nicht entfernst.“

Das Update, welches man am 1. September beim Beenden der Spendenkampagne auf die Spendenseite stellte, enthielt diesen Satz nicht. Auch wurde mit keiner Silbe erwähnt, ob und wenn ja wie viele Opfer in den Genuss der eingesammelten Unterstützung gekommen waren. Nur ein paar allgemeine Floskeln, das war’s:

„GROßEN DANK für deine Unterstützung! Eure Spenden machen Mut. Es ist toll zu wissen, dass so viele Menschen hinter der Kampagne stehen. Sie macht deutlich: Betroffene von sexualisierter Gewalt sind nicht allein. Und sie können sich wehren und sich die Hilfe holen, die sie brauchen. Sollten Mittel übrig bleiben, werden wir diese für unseren „SHEROES Fund“ sowie den satzungsgemäßen gemeinnützigen Zweck der Amadeu Antonio Stiftung einsetzen, wie die Unterstützung von Betroffenen von Hass und Hetze.“

Überraschung: Es ist doch tatsächlich „etwas“ Geld übrig geblieben für die tolle Arbeit der Kahane-Stiftung! Und bevor Sie jetzt Schnappatmung bekommen, weil sie vielleicht auch einen Euro in die Klingelbüchse gesteckt haben und den zurückhaben wollen, schauen wir doch mal auf die Sammel-Seite, wie sie sich früher präsentierte. Und zwar schon zu Beginn der Kampagne, als die „Schuld“ von Rammstein noch völlig außer Frage stand, am 16. Juni 2023. Ich zitiere:

„In dem Fall, dass die Rechtsstreitigkeiten erfolgreich ausgehen und die Prozess-/Anwaltskosten erstattet werden, oder mehr Spenden eingehen, als benötigt, werden die erstatteten und nicht benötigten Spendengelder im SHEROES Fund – Held*innen für Demokratie, für die Umsetzung des satzungsgemäßen gemeinnützigen Zweck der Amadeu Antonio Stiftung eingesetzt.“

Na, wie schmeckt Ihnen der Konjunktiv in der Retrospektive? Die Rechtsstreitigkeiten waren ja leider alles andere als erfolgreich und Anwaltskosten wurden auch nicht erstattet. Und da ist ja noch der Teil hinter dem „oder“:

Dass „…mehr Spenden eingehen, als benötigt…“.

Was wofür benötigt wird, bestimmt eben nicht der Spender, sondern die AAS. Und ob nun der ganze Jackpot oder nur die über dem angegebenen Spendenziel von 750.000 Euro liegenden 86.000 Euro ins Säckel der Kahane-Stiftung fließen, das werden Sie Hasser und Hetzer nie erfahren. Die Amadeu-Antonio-Stiftung jedenfalls hat nie behauptet, dass die Gelder in vollem Umfang an die Opfer gehen würden!

Also, schlucken Sie Ihren Zorn für die gute Sache herunter und erkennen Sie an, dass die Amadeu-Antonio-Stiftung im evidenzfreien Empörungs- und Anschmutzungsgeschäft ein Vollprofi ist und Sie nur der leichtgläubige Amateur mit großem Herzen. Sie hätten eben das Kleingedruckte lesen sollen.

Zuerst erschienen auf Achgut.com

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4 Kommentare

  1. Roger schreibt, „[V]iele stellen nur … infrage, wie das eigentliche Ansinnen … in einen höheren Zweck hineingedreht wird, der die Spender über die tatsächliche Verwendung der Mittel im Unklaren lässt.“ Das ist leider allgemeiner Usus. Und das Schlimmste ist, dass viele Wohltätigkeitsorganisationen auch noch auf ihren Webseiten ihre „Partner“ und „Unterstützer“ ausweisen, die komplett andere Satzungsziele haben. Oft ist die „Open Society“ aufgelistet, das Innenministerium als „Bundesamt für politische Bildung“ sowie das Familienministerium als Demokratie leben!.

    Mein Lieblingsbeispiel ist die United4Rescue-Seite, weil da sämtliche üblichen Verdächtigen zusammenkommen.
    https://united4rescue.org/de/das-buendnis/alle-buendnispartner/
    Damit Ihr nicht denkt, dass ich schummele, könnt Ihr die Webseiten von ein paar selbst gewählten Sponsoren öffnen und wiederum nach deren Sponsoren schauen. Das sind i.d.R wieder Gruppen mit vollkommen anderen Satzungszielen. Wer hat den Überblick, wo welche Gelder hingehen? Während Bargeldbeschränkungen und transparente Bürger in aller Munde sind, fragt man sich, ob dieses Hin- und Her-Spendesystem schon gegen Geldwäsche gesichert wurde. Ich glaube, dass selten ein altes Mütterchen seinen Nickel an United4Rescue oder an die Amadeu-Antonio-Stiftung spendet. Auch bei betterplace werden wahrscheinlich nicht nur besorgte Einzelpersonen ein paar Münzen in den Hut geworfen haben.

    2020 nahm die Amadeu-Antonio-Stiftung rund 2 Millionen Euro Spenden ein. Im darauf folgenden Jahr waren es schon 2.5 Millionen. 2021 hatte damals noch Anetta Kahane 1,9 Millionen Euro in Wertpapieren angelegt. Man könnte also loben, dass zu guter Letzt doch noch die Stasi ihren Frieden gemacht hat mit dem Kapitalismus.
    https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2022/10/jahresabschluss-aas-2021.pdf

    80.9% der Unternehmensanteile von Bertelsmann gehören den Stiftungen „Bertelsmann Stiftung“, „Reinhard Mohn Stiftung“ und der „Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft (BVG) Stiftung“. Also die „Wohltätigkeitsorganisationen“ besitzen das Unternehmen.

    Wie das steuerrechtlich funktioniert, weiß ich nicht, aber den steuerfreien Status von nicht profitorientierten Organisationen ab einer bestimmten Größe sollte man generell abschaffen. Die Autorin Ayn Rand hatte bereits darauf hingewiesen, dass meist etwas faul ist, wenn jemand seine Wohltat als Selbstlosigkeit vermarktet. Ein produzierendes, profitorientiertes Gewerbe ist in der Regel eine größere Wohltat für die Gemeinschaft als eine Gruppe ohne offene Profitabsicht und sollte auch nicht stärker besteuert werden. Das Listenführen kippt nämlich das Spielfeld. Ich vermute ins Blaue, dass Achgut und TE höhere Steuern zahlen als die Belltower News und auch nicht die Förderung durch das Familienunternehmen bekommen.

    Oft wird das amerikanische Wohltätigkeitswesen von den hiesigen Eliten gelobt. In den USA gibt es tatsächlich eine größere Neutralität, aber auch dort verführte die Steuerprivilegierung dazu, dass Obama den Daumen auf die Waagschale legte. Das war selbstredend ein Skandal. Hier wäre das natürlich keiner. Hier wundert man sich, wenn etwas nicht getürkt ist. Weil das ein anderer Kontinent ist und auch noch ein dröges Thema, verlink ich euch nur Remy Munasifis musikalische Aufarbeitung (Triggerwarnung: Countrymusik).
    https://www.youtube.com/watch?v=KohtsEmWY2w

    Aber was regt ihr euch denn auf? Statt immer nur rumzumeckern müsste man halt auch mal die einzige Partei wählen, die klar fordert, dass Spendengelder zweckgebunden verwendet werden müssen und nicht einfach an andere, selbst Spenden sammelnde Organisationen weitergeleitet werden dürfen. Nur eine Partei will die Steuerprivilegien abschaffen. Welche? Keine Ahnung. Vielleicht meldet sich ja noch eine.

  2. Weil von Anfang an vorgesehen war, als „Ausweichverwendung“ irgendetwas gegen räächts, für LGB-Buchstabensuppe oder für Antifanten zu nehmen. Selber schuld, wer einer (meiner Meinung nach) linksextremen Organisation aufgrund Verdachtsberichtserstattung spendet.

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