Am Ende siegt der Zweifel

Georg Diez befasst sich in seinem Artikel bei SPON mit dem Hass der IS-Terroristen – und findet kreative Erklärungen

Lieber Herr Diez, geht’s nicht auch mal eine Spur weniger selbstanklagend? Schon wieder jemand der meint, dass im Grunde doch der Westen Schuld ist an der Misere im Irak und Syrien. Muss ja so sein! Da gibt der Islamisten-Rekrutierer Hasnain Kazim im Spiegel-Interview von sich (http://www.spiegel.de/politik/ausland/is-islamischer-staat-streitgespraech-mit-einem-islamisten-a-998720.html) „Wer hat die Welt erobert und versucht, alle fremden Kulturen und Religionen zu unterwerfen? Die Geschichte des Kolonialismus ist lang und blutig. Und sie dauert bis heute an, in Form von Arroganz des Westens gegenüber allen anderen.“

Und Georg Diez von SPON „kann ihm nicht wirklich widersprechen“.

Das ist schade, weil es viel zu widersprechen gäbe! Zunächst aber sprechen in derlei Dialogen nicht zwei auf Augenhöhe. Der eine, Herr Diez, kennt Fehler, die in der Vergangenheit gemacht wurden und macht sie sich zu Eigen. Der Andere, Herr Kazim, glaubt, generell keine Fehler zu machen weil er im Besitz der Absoluten Wahrheit ist. Man muss kein Prophet sein um zu wissen, wie solche Gespräche enden: Sprachlos.

Und bitte, liebe Islamistenversteher und Abbitteleister: Hättet ihr im Geschichtsunterricht besser aufgepasst, oder würdet ihr im Angesicht der verbalen Konfrontation nicht immer sofort den Aschebeutel mit der Aufschrift „wir haben auch Fehler gemacht“ hervorholen, wüsstet ihr, dass all diese Vorwürfe genauso auf  Römer, Griechen, Goten, Vandalen, Hunnen, Sassaniden, Mongolen, Hetiter, Azteken und – man höre und staune – Tataren, Araber, Seldschuken und Osmanen zutreffen!

Haben 200 Jahre Aufklärung wirklich nichts genutzt? Glaubt wirklich ernsthaft jemand, das es Sinn ergibt, in der Diskussion mit Islamisten historische Vergleiche zu bemühen und sich für die blutige Eroberung Jerusalems im Jahr 1099 zu entschuldigen?
Ich warte noch auf eine Entschuldigung aus Ulan-Bator für die Plünderung und das Schleifen Bagdads – quit pro quo gewissermaßen. Ist es von Belang, ob „der Westen“ eine arrogante Art des Kolonialismus betrieb, in dessen Folge der Islam sich nun erheben müsse? Und was ist die Folge?  Sind nun für die nächsten 500 Jahre die Islamisten „mal dran“ mit arrogantem Kolonialismus? Nun, was das angeht ist Georg Diez im Spiegel-Interview sehr deutlich und ich kann ihm nur danken, dass er so offen ist. Lest das Interview, bevor ihr wieder zur Asche greift und wie Herr Diez versucht, auch aus dem absurdesten Terror noch eine Portion Selbstkritik zu pressen. Lest es und versteht es! So klar drückt man sich in diesen Kreisen nicht oft aus. Schluss mit Lustig! Vergesst den „toleranten, barmherzigen Islam“, den wir so gern herbeizitieren, wenn‘s mal wieder etwas intoleranter und unbarmherziger zugeht! Schluss mit dem friedlichen „Miteinander der Kulturen“ oder dem toleranten Al Andalus, alles Irrwege und Ketzerei. Konvertiere oder stirb – das sind die Alternativen des Hasnain Kazim. Zumindest darf man sich noch entscheiden.

Hitlers Hetzschrift „Mein Kampf“ war ein vielgedrucktes Buch, erschienen schon lange vor der  „Machtergreifung“ 1933. Und es stand alles drin, Hitler hat nicht hinter dem Berg gehalten mit seinen Absichten! Alles, von dem später viele sagten: „Das haben wir nicht gewusst!“ konnte man schon 1926 nachlesen. Wie damals hängen wieder viele Menschen wieder an den Lippen der Demagogen, diesmal kommen die Botschaften nicht aus der nationalistischen, sondern der religiösen Ecke. Wir gut, die böse. Wir sind unterdrückt, sie unterdrücken uns. Wir sind das Licht, sie sind das dunkel – und Du willst doch auf der Seite des Lichts stehen, oder? So einfach ist das! Also lies!  Auf jeden Fall das Interview mit Herrn Kazim. Sonst jammre später nicht, dass sowas ja keiner hätte wissen können!

Georg Diez postuliert, dass der Westen behaupte, das historische Recht auf seiner Seite zu haben. Wenn dem so ist – und ich frage mich, wo „der Westen“ sowas mal behauptet hat – dann stellt sich die Frage, wo all die Zweifler und Nörgler hier „im Westen“ herkommen, die glauben, „der Westen“, zu dem sie ja irgendwie auch gehören, mache sowieso alles falsch. Und weil wir alle so voller Fehler sind, hassten uns „die anderen“ – nur aus den falschen Gründen! Wenn wir doch nur alle Engel wären, und in der Vergangenheit immer alles richtig gemacht hätten, lieber Herr Diez! Dann hätten wir die moralische Autorität, den Hasspredigern, den Homophoben, den Frauenfeinden bei den Islamisten mal so richtig die Meinung zu sagen – aber so? Und schon wieder rieselt uns die Asche aus den Haaren… Warum nur lassen wir uns zum Beispiel immer und immer wieder in die Schablone „Westen“ pressen? Ich kann gegen den Irak-Krieg von G.W. Bush gewesen sein UND das Vorgehen der IS dort als abscheulich empfinden. Ich kann das Verhalten der NSA in Deutschland genauso als falsch ansehen, wie ich es bei einem deutschen Konvertiten tue, der in Syrien „ungläubige Schweine“ tötet. Ich kann auch für Israel Partei ergreifen und dennoch die fortwährende Zersiedelung der Palästinensergebiete für schlecht halten. Warum soll das ein Widerspruch sein? „Der Westen“ ist ein ideologisches Konstrukt der islamistischen Schwarz/Weiß-Malerei in dem alle Vorurteile  zusammengefasst werden, die ihr eigenes Weltbild untermauern. Angereichert wird das Ganze mit jeder Menge Lügen, Auslassungen und Verallgemeinerungen. Dieser „Westen“ existiert nur in den Hirnen der Islamisten. Dieses Konstrukt haben sie von den Ideologen des „Ostens“ geerbt, als deren Nachlass nach dem verlorenen kalten Krieg verteilt wurde. Ich lehne diesen Begriff ab!

Wenn man in letzter Zeit Gespräche mit Islamisten in den Medien verfolgt wird einem immer wieder deutlich, wie die mehr oder weniger christliche Sozialisierung der Menschen in diesem Land als argumentative Waffe gegen sie verwendet wird. Es gewinnt am Ende der, welcher die meisten Fehler in der Vergangenheit und Gegenwart aufzählt, es verliert der, welcher die meisten Fehler auf sich nimmt. Und so kommen nach den Kreuzzügen, Vietnam, Afghanistan- und Irak-Krieg, amerikanischen Basen in Saudi Arabien und der allgemeinen „Unterdrückung der Muslime“ die Gegenargumente eher kläglich. Es kommt auch kaum keiner auf die Idee, eine historische Aufzählung der Eroberungen der Muslime (Jerusalem, Damaskus, Alexandria, Spanien, Konstantinopel, Belagerung von Wien…) zu unternehmen. Auch das mit den Muslimen, die in toto unterdrückt seien erklärt uns niemand. Dabei können wir das mal kurz beleuchten: Muslime, die in Europa, den USA oder Australien leben, hindert niemand an der persönlichen Entwicklung. Sie können studieren, Firmen gründen und ihre Kinder auf gute Schulen schicken. Sie können ihre Moscheen betreiben, fünf Mal am Tag beten, den Bedürftigen spenden und zur Hadsch nach Mekka fahren. Wer sich an die Gesetze des jeweiligen Landes hält, kann dies alles ohne Ansehen seiner Religion tun, wenn es auch noch graduelle Unterschiede gibt, weil es leider unmöglich ist, Vorurteile per Gesetz zu verbieten, zumal sie immer wieder gut Nahrung erhalten. Im Großen und Ganzen sind die Muslime aber nicht unterdrückter im bösen „Westen“ als jede andere Gruppe: Atheisten ist die Karriere im katholischen Klerus verwehrt, Männer haben es schwer, Hebamme zu werden und Rockerclubs weigern sich, Frauen aufzunehmen. Die „westliche Welt“ ist voller Ungerechtigkeiten! Es kommt halt immer auf den Blickwinkel an.

In der muslimischen Welt sieht das schon anders aus. Dort laden Militärdiktaturen, Gottesstaaten und absolutistische Monarchien zum Verweilen ein. Deshalb geht es den Menschen in Ägypten, Pakistan, Iran oder Saudi Arabien auch so gut – weil dort Muslime über Muslime herrschen. Nun wird man einwenden, dass all diese Staaten sich eben nicht entwickeln können, weil die USA und ihre „Handlanger“ (ein schönes Wort) sie auspressen und unterdrücken (da ist es wieder)! Nun, Ägypten und Pakistan werden von den USA alimentiert – und Dollars nehmen die so „Unterdrückten“ komischerweise immer gern (selbst der IS hat kein Problem damit, für Dollar amerikanische Waffen zu kaufen). Iran und Saudi Arabien verkaufen erfolgreich Öl in die Welt. Zwar wird der Iran durch das Embargo an der Entwicklung der Atombombe gehindert, aber in Saudi Arabien, wo die Scharia heute schon herrscht, wo es kein Embargo gibt, wo Geld im Überfluss vorhanden ist – dort muss das Paradies sein! Dorthin sollten sich die Islamisten wenden, denn dort wurde all das verwirklicht, was sie sich erträumen. Wöchentliche Enthauptungen von Übeltätern inclusive.

Worte an einen Islamisten

„Ich will helfen, Allahs Wort das Höchste zu machen“ sagte einer auf den Straßen von Köln beim Koran verteilen. Mal abgesehen davon, dass dies schlimmes Deutsch ist, würde ich sagen: „Geschafft! Für dich ist es ja offensichtlich das Höchste! Ich gratuliere!“ Ich bin aber kein Moslem und will auch keiner werden. Ich bin es gewohnt, meinen Verstand zu benutzen und ich habe einen freien Willen, mit dem mich die Natur, Gott, Jahwe oder Allah ausgestattet hat. Ich weigere mich an deine Interpretation eines Gottes zu glauben, dessen eigene Schöpfung angeblich gezwungen werden muss, an ihn zu glauben und Regeln befolgen soll, die ein Mensch vor 1400 Jahren in der arabischen Wüste empfangen haben will. Dein Gott muss auf mich verzichten. Ich denke, er wird es verkraften!

Aber was verkraftet dein Glaube? Du predigst einen Islam, der wörtlich genommen werden soll und der bei keiner Herausforderung des modernen Lebens Halt und Hilfe gibt. Der Koran in deiner Hand wurde auf modernen Druckmaschinen aus der westlichen Welt hergestellt. Du nutzt Twitter und Facebook um dein schwarz/weißes Weltbild zu verbreiten, Du wirfst dem Westen Intoleranz und Unterdrückung vor – hier in Köln, wo du ungehindert deine eigene intolerante Meinung verbreiten kannst ohne danach mal einfach so enthauptet zu werden. Niemand zwingt dich hier, Schweinefleisch zu essen. Deine geistigen Brüder vom IS lehnen das moderne Leben, Kunst, Kultur und Musik ab – nutzen aber die westlichen Medien, um ihre mit Musik untermalten Kampfvideos zu verbreiten. Sie zerstören Kunstwerke und Altertümer in Syrien und dem Irak und verkaufen diese gleichzeitig über den Schwarzmarkt um Geld für westliche Waffen zu bekommen. Du trägst eine Uhr, die in der Schweiz zusammengebaut wurde. Du buchst einen Flug in die Türkei, um dich dem Dschihad anzuschießen – was sagt der Koran über die Anschnallpflicht in einer amerikanischen Boeing und warum reitest du nicht auf einem Pferd in den Krieg? Alles das blendest du aus, aber woher weißt du, ob nicht gerade DAS deine vorgebliche Unterwerfung für Allah wertlos macht? Vielleicht nimmst du die falschen Stellen aus dem Koran wörtlich oder nicht alle? Vielleicht hast du die eine oder andere Stelle vergessen oder falsch verstanden? Ich habe Zweifel an deinen Motiven. Ich bezweifle, dass Dich ein Paradies und der große, immerwährende Gang Bang erwarten. Wenn du also vor deinem Märtyrertod in die Kamera schaust solltest du darüber nachdenken, ob das mit dem Bilderverbot des Islam vereinbar ist. Vielleicht solltest du ja überhaupt wieder mit dem denken anfangen. Selbst. Schon vorher. Am besten jetzt.

Vom Wert des Zweifels

Wenn es eine Essenz der letzten 2000 Jahre Menschheitsgeschichte gibt, deren Abwesenheit sich stets besonders verheerend ausgewirkt hat, dann ist es der Zweifel. Immer wenn sich Menschen besonders sicher sind, das ihr Handeln richtig ist, führte das in Katastrophen. Zweifel sorgen aber dafür, das eigene Denken und Handeln und das der Gruppe zu hinterfragen, deshalb sind sie so nützlich und wichtig und ein Regulativ zu Glaube und Ideologien. Zweifel sorgen dafür, dass es Fortschritt in Wissenschaft und Technik gibt, weil alle Gewissheiten und Wahrheiten immer wieder hinterfragt werden dürfen. Zweifel haben aus der Erdscheibe eine Kugel gemacht und sie aus dem Mittelpunkt des Universums verbannt. Zweifel haben dafür gesorgt, dass die Vögel den Himmel nicht für sich allein haben und dafür, dass Helfer in Afrika ihr Leben riskieren, um Ebola-Kranken zu helfen. Zweifel haben Luther dazu gebracht, die Rolle des Klerus zu hinterfragen und die DDR-Grenzer davon abgehalten, auf die Menschen zu schießen, die am 9. November 1989 auf die Mauer stiegen. Zweifel lassen uns Fehler erkennen und sorgen dafür, dass es nach drei Schritten vorwärts häufig zwei Schritte zurück geht – sie sorgen aber auch dafür, dass die Menschheit an Abgründen immer wieder inne hält und nicht blind in jede Katastrophe rennt. „Der Westen“ ist voller Zweifel, der Islamismus kennt solche Zweifel nicht – das macht ihn so gefährlich, aber letztlich auch gefährlich für sich selbst.

Georg  Diez hat Zweifel, das macht ihn mir dann doch sympathisch und sorgt dafür, dass ich mit ihm einen Dialog führen könnte. Mit Hasnain Kazim ist ein Dialog unmöglich.

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