Ich bin zehn Jahre alt, sitze am Mittagstisch und mag nicht aufessen. Großmutter ist wütend. „Du bleibst hier so lange sitzen, bis der Teller leer ist“. Im Alter von zehn empfindet sicher jeder diese Situation als unfair. Dass es sich um Nötigung unter dem Mantel der Fürsorge handelt, wird einem aber erst viel später bewusst. Großmutter will ja nur mein bestes und wofür mein Magen Platz haben muss, glaubt sie entscheiden zu können. Alternativlos, denn verhandelt wird nicht. Oma bekam schnell die Kurve auf eine emotionalere Ebene, um mich mit ihren selbstgewählten Moralbeispielen zur Einsicht zu bewegen. „Denk an die Kinder, die in Afrika hungern müssen“. Da ich mich satt fühlte und dennoch zum Essen gezwungen werden sollte, fraß ich den Hungernden in aller Welt offensichtlich auch noch alles weg, dabei wollte Oma sicher nur Dankbarkeit evozieren, weil sie sich so rührend um mich kümmerte und mir zu essen gab. Ich war aber dennoch satt. Und voll von Schuldgefühlen, weil ich Verursacher des Hungers in der Welt war.

In Omas polarisiertem Weltbild hingen Gut und Böse, Hunger und Satt stets eng zusammen. Aus gutem Tun folgt stets nur gutes und böse Menschen tun stets böse Dinge. Meine Großmutter meinte es gut mit mir, weshalb ihr Handeln in ihren Augen stets unter dem Narrativ des Guten stand. Kommt ihnen das mit Blick auf die aktuelle Politik in Berlin und Brüssel irgendwie bekannt vor?

Irgendwann später, als Erwachsener, entscheidet der Mensch aber selbst darüber, was er wann isst und wie viel davon. Auch darüber was er sagt, liest, lernt, verdrängt, wem er vertraut, was er denkt, glaubt oder fühlt. Sind all dem äußerlich keine oder nur überwindbare Grenzen gesetzt, nennt man ein solches Umfeld auch kurz „Freiheit“ – oder wie der Lateiner sagen würden: Libertatem, zurück ins Deutsche übertragen: liberal.

Nötigung unter dem Mantel der Fürsorge

Seit einigen Jahren kann man beobachten, dass der Staat sich mehr und mehr in Bereich einmischt, die seine ureigene Domäne nicht sind. Er beobachtet unseren Energieverbrauch, verteufelt Dinge, die wir gern essen, will wissen, mit wem wir wann wie lange telefonieren und welche Internetdienste wir benutzen. Er tut das natürlich nicht, weil er uns gängeln und bevormunden will, sondern weil er sich um uns sorgt und uns schützen will. Vor Terroristen, Kriminellen und natürlich vor uns selbst. Er misstraut uns, erwartet aber im Gegenzug, dass wir seine Entscheidungen nicht in Frage stellen und Vertrauen haben. Wie unartige Kinder behandelt der Staat diejenigen, die sich seinem Zugriff entziehen wollen. Der Staat will nur unser Bestes, meine Großmutter damals wollte das auch.

„Missing Lib“

In unserer großen Koalition treffen erratisch ausgeprägter Humanismus, pragmatisiertes Christentum und Sonnenkönig-Komplex der Kanzlerinnenpartei CDU auf eine SPD, die vom „starken Staat“ und gelenkter Demokratie träumt – passt perfekt! Man sollte ihnen das „große koalieren“ qua Verfassung verbieten wenn nicht sichergestellt werden kann, dass die Regierung die kritische Masse zur Trägheit nicht überschreiten kann. Dass man momentan ausgerechnet auf die Worte des Bundespräsidenten warten muss – eines evangelischen Pfarrers – um das Wort ‚Freiheit‘ zu hören, macht das aktuelle Defizit in der deutschen Politik umso deutlicher: Es gibt keine freiheitliche, keine liberale Kraft mehr in Deutschland, die diese Bezeichnung verdienen würde. Vielleicht gab es sie nie, jedenfalls gibt es sie heute nicht mehr. Ausgerechnet heute, da wir sie so dringend brauchen!

Denken Sie gerade an die FDP? Aber diese Partei, in die Scheiße gefahren von Politikern wie Möllemann, Kinkel, Niebel, Brüderle, Westerwelle und Rösler, war zu lange nur dem Namen nach liberal. Von den eigenen Granden verspottet als „Partei der Besserverdienenden“, als Klientelclub der Anwälte, Ärzte, Steuerberater und Hoteliers hatte sie ausgerechnet ihre Kernkompetenz aus dem Blick verloren: Den Bürger und dessen Schutz vor unbefugtem Zugriff auf sein Leben durch den Staat und dessen Institutionen. Bürgerrechte, Selbstbestimmung und die Idee des Staates als Dienstleister des Bürgers; es ist niemand mehr da, der diese Stimme kraftvoll erheben kann. Dabei schafft es das liberale Pflänzchen immer mal wieder kurz durch den deutschen Einheitsasphalt aus Sachzwängen. Wer erinnert sich nicht an die nerdige Digitalpartei „Die Piraten“, die es schafften, staatliche Überwachung im Internet auf die politische Tagesordnung zu bringen? Das Thema wäre eigentlich wie geschaffen für eine liberale Partei gewesen, also die FDP. Die Piraten sind im Ordner recycle.bin gelandet, weil sie eine zu dünne Agenda hatte oder vielleicht auch nur, weil das WLan ausgefallen war, wer weiß das schon.

Eine starke liberale Partei hätte zur Vorsicht mahnen können, als die Kanzlerin im Alleingang „lasset‘ die Kindlein zu mir kommen“ rief. Sie hätte Alarm schlagen müssen bei dem Versuch der Regierung, außenpolitisches Prestige auf Kosten der Ressourcen des eigenen Volkes zu erlangen, sie hätte diesen Blankoscheck niemals unterschrieben. Eine solche Partei würde auch besser als CDU und SPD verstehen, welche Bedenken die Briten haben, wenn sie an Europa und Brüssel denken. Mehr Europa bedeutet nicht nur mehr Staat, sondern Superstaat und mehr Bürokratie (u.a. Bürokratie zum Bürokratieabbau) – etwas, das einem freiheitlich denkenden Menschen zutiefst zuwider sein muss. An einem europäische Superstaat, dessen Exekutive durch nichts legitimiert und dessen Entscheidungen zutiefst undemokratisch sind, baut ein Liberaler einfach nicht mit. Punkt.

Ich höre und lese, dass ich in Gesprächen und auf anderen Blogs als „Liberal“ bezeichnet werde. Das kann wohl stimmen, denn sehe ich Polit-Talks mit Blasberg, Will oder Lanz, bemerke ich, dass die meiner Meinung nach sinnvollsten Äußerungen ausgerechnet aus den Mündern von Kubicki oder Lindner kommen. Wenn ich dagegen Markus Lanz zuhöre, der das Schwarzfahren von Migranten in Öffentlichen Verkehrsmitteln für eine Petitesse hält und für den erst millionenschwerer Steuerbetrug justiziabel erscheint, vermisse ich umso mehr eine starke Stimme der Vernunft, die die freiheitlichen Bürgerrechte wieder als das propagiert, was sie sind: Unverzichtbar und nicht verhandelbar.

Wir brauchen keine Öffentlich-rechtlichen Medien, die als Erziehungshelfer auftreten und uns nicht nur eine Nachricht übermitteln, sondern gleichzeitig verkünden, was wir davon zu halten haben. Wir brauchen keinen Staat oder gar Superstaat, der uns zur Installation von Rauchmeldern verpflichtet und Glühbirnen verbieten. Wir brauchen keinen Staat, der uns jahrelang zur „privaten Vorsorge“ ermahnt und uns dann durch staatlich verordnete Null-Zins-Politik diese Vorsorge wegnimmt. Wir brauchen keinen Staat, der das Weltklima verpflichten will, sich nicht mehr als 2° zu erwärmen, gleichzeitig nicht verhindert, dass sich das soziale Klima in Deutschland um 30° aufheizt und dann die Parole ausgibt „flach atmen und beten“. Wir brauchen keinen Staat, der das Bargeld abschaffen will, um auch noch die Zugriff auf die letzten unkontrollierten und privaten Lebensäußerungen zu erlangen, und uns dies als Schutzmaßnahme verkaufen will.

Wenn all das liberale Ideen sind, bin ich wohl wirklich ein Liberaler. Ein Parteiloser.

Falls Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann bedeutet sie das Recht darauf, den Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen. (George Orwell)

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