Unbekannte haben das Hakenkreuz und einen Teil der NS-Inschrift auf der Kirchenglocke der niedersaechsischen evangelischen Kapellengemeinde Schweringen bei Nienburg entfernt (Foto vom 31.03.2018). Die Tat habe sich "irgendwann in der Karwoche" ereignet, sagte Gemeindepastor Jann-Axel Hellwege am Dienstag dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er bestaetigte einen Bericht der Tageszeitung "Die Harke". Die im vergangenen Jahr entdeckten "Nazi-Glocken" in Schweringen und Fassberg bei Celle hatten ueber Niedersachsen hinaus fuer Aufsehen gesorgt. (Siehe epd-Meldung vom 03.04.2018)
epd/ Hannoversche Landeskirche

So mancher Deutsche, besonders wenn er sich eigentlich lieber „stolzer Europäer“ nennt, findet es gar nicht gut, wenn in der Familie der eine oder andere Onkel oder Großvater auf alten Bildern in Uniform und mit gestreckter Hand zu sehen ist. Doch wer zeigt in diesem Fall schon gern seine Familienalben her. Man war gefälligst im Widerstand, und sei es nur im Geiste – nur die anderen, das waren alles Nazis! Doch Widerstand kostet, im Zweifel sogar das Leben. Die Gnade der späten Geburt sorgt jedoch für kommoden Ersatz, denn wenn Großpapa damals schon nicht den Mut aufbringen wollte, sein NSDAP-Parteibuch dem Führer voller Abscheu und Todesverachtung vor die Füße zu werfen, muss dieser Exorzismus eben dem Enkel überlassen bleiben. Zum Glück gibt es noch genügend Relikte aus der Nazizeit, so dass der weltbürgerliche Snob von heute nicht nach Indien fahren muss, um mit den Dämonen seiner Großeltern zu kämpfen und den Indern die Swastikas von den Hochzeitsgirlanden zu reißen. So werden immer wieder auch vermeintlich gutmeinende Kirchengemeinden von bösen Erinnerungen geschüttelt, wenn sie daran erinnert werden, dass die große Glocke oben im Glockenturm einst zur Ehre eines gewissen Hitler gegossen wurde und dass dessen beelzebübischer Name samt Hakenkreuz immer noch auf dem frohbotschaftlichen Klangkörper prangt. Sieht man doch nicht, hört doch auch keiner und solange die AfD-Ortsgruppe noch nicht auf frischer Tat bei einer Schwarzen Messe im Glockenstuhl erwischt wurde, könnte man das schwere und teure Geläut auch einfach hängen lassen. Alle Zeitgenossen, die heute hysterisch überall Nazis erblicken und „hängt sie!“ rufen, könnten beruhigt konstatieren, dass man kaum höher hängen kann, als im Kirchturm. So auch in der niedersächsischen Gemeinde Schweringen, auch wenn man diese Tatsache dort Jahrzehntelang nicht (Achtung, Kalauer) an die große Glocke hängen wollte.

Manche Gemeinden gehen offensiv mit derlei unangenehmer Erbmasse um, schon deshalb, weil die Neuanschaffung eine kostspielige Angelegenheit ist und man aus Gründen des Klanges nicht einfach Teile der Glocke entfernen kann. Man stellt sich folglich der braunen Vergangenheit und nimmt das Instrument als das, was es sein sollte: als Zeichen der Mahnung, Erinnerung und historische Tatsache, die zu leugnen die Geschichte nicht ungeschehen und aus Mitläufern keine Widerstandskämpfer macht. Der Ton der Glocke indes, der die Gläubigen zum Gottesdienst ruft, ruft auch dann zu Gott, wenn er durch das übelste Metall hindurchmuss. Ein wenig Scham und Demut vor der Tatsache, dass vergangene Generationen nur allzu bereitwillig einer vorherrschenden und alternativlos scheinenden Ideologie hinterherliefen und sich auch die Amtsträger der Kirchen oft nur allzu gern dem Zeitgeist an den Hals warfen, darf ruhig als Oberton einer Glocke aus dem kurzlebigen tausendjährigen Reich wahrnehmbar bleiben.

Doch in Schweringen sprach der Herr: „Und wer unter euch ohne musikalisches Gehör ist, der greife als erster zur Flex“ – oder so ähnlich. Weihespruch und Hakenkreuz sind nun in Schweringen über Nacht von der Glocke geflext worden – gepriesen sei der späte Widerstand! Dass die Glocke nun statt einem Ton nur noch ein Krächzen von sich gibt, ist da doch locker in Kauf zu nehmen! Der Missklang ist’s, der ab sofort die Herzen der Gemeinde höherschlagen lässt und der Polizei, die nun wegen Sachbeschädigung ermittelt, sei empfohlen, den anonymen Metallschleifer unter denen zu suchen, auf deren Gesichter die Glockenkakophonie das breiteste Lächeln zaubert. Aber kann Geld in einem „reichen Land“ wie Deutschland ein Argument sein, eine solche Glocke einfach hängen zu lassen? Die 50.000 oder mehr Euro muss die Gemeinde schon mal aufbringen! Ihr schafft das schon. Der Anonyme Glockenputzer hat euch diese Entscheidung nun abgenommen.

Ein Hoch auf die zu spät gekommenen Widerstandskämpfer, die wieder einmal gefahrlos ihrer Bestimmung folgen konnten. Mögen sie noch lange das verborgene Böse entdecken. Aber wenn da nichts mehr zu finden ist, kann man ja immer noch die Wände der Häretiker und Abweichler mit brauner Farbe beschmieren, um dann laut gegen das „erstarkte Böse“ zu demonstrieren.

PS: Ein Tipp an den Hobby-Metallarbeiter aus Schweringen…eine Spende über sagen wir 100.000 Euro für den Guss einer neuen Glocke würde die Gemeinde Schweringen auch anonym annehmen. Dann würde auch der Name des Mäzens nicht auf der Glocke stehen – wer weiß denn, was Sie sich in nächster Zeit noch so alles zu Schulden kommen lassen, was spätere Generationen zur Flex greifen lassen könnte.

Vorheriger ArtikelDer Tegernsee zieht nach Berlin – Don Alphonso bei der „Welt“
Nächster ArtikelDebatte um „Erklärung 2018“ – kalt, warm…zu heiß?

18 Kommentare

  1. Zitat: „Ein wenig Scham und Demut vor der Tatsache, dass vergangene Generationen nur allzu bereitwillig einer vorherrschenden und alternativlos scheinenden Ideologie hinterherliefen und sich auch die Amtsträger der Kirchen oft nur allzu gern dem Zeitgeist an den Hals warfen,“

    WIESO vergangene Generationen???

    Das passiert doch gerade aktuell auch wieder.
    Stichworte: Political Correctness, Genderismus, Feminismus, Multikulti,………

    • Nicht ganz. Das würde ja bedeuten, dass man ein deutsches Hakenkreuz einer „Kultur“ zuordnen müsste – und soweit sollte man nun wirklich nicht gehen.

  2. Oh Deutschland – Deine Hitlerei.
    Irgendwie ist hier alles noch dem Hitler-Kult unterworfen, dieses Mal halt andersherum.
    Wohlan…

  3. Eins noch am Rande. Als ich im zarten Alter von 16 ein begeisterter Amateurastronom war und das Vergnügen hatte, in Apolda, nebenbei bemerkt einer Glockengießerstadt, an einem perfekt montierten Spiegelteleskop von 85cm Öffnung zu arbeiten, berichtete mir mein Lehrmeister von der Entstehung dieses Teleskops. Die Deklinationsachse bestehe, so erfuhr ich, aus dem Lauf eines Flak-Geschützes, welches er nach dem Krieg von einem Schrotthaufen geborgen habe. Nie wieder, so seine Worte, sei ihm ein Stahl auf die Drehbank gekommen, der sich so willig und butterweich seinen Anweisungen gebeugt hätte. Das war mein „Schwerter zu Flugscharen“ Moment, der eher ein „Flakgeschütze zu Deklinationsachsen“ Moment war. Es gibt also durchaus Gegenstände, die entnazifiziert werden mussten und deren Material nachher dennoch gute Dienste tat. Es gab auch verdammt gute Gründe, das Schandmal von Gebäuden, von Banknoten und vor allem aus dem Köpfen zu tilgen – aber eine Glocke, die in einer Gemeindekirche seit 70 Jahren ihren Dienst tut, gehört verdammt nochmal nicht dazu! Nicht, solange die Gemeinde selbst nicht beschließt, einen Neuanfang in neuer Bronze zu machen! Das ausgerechnet ich als Atheist die schreiben muss, finde ich entsetzlich.

  4. Toller Artikel.
    Es müsste doch eigentlich jemand mitbekommen haben, dass sich da jemand an den Glocken vergreift. Man hört doch, wenn jemand mit der Flex die Glocke bearbeitet. Ich kann mir kaum vorstellen, dass das nicht aufgefallen ist.
    Oder wollte man es nicht hören?

    • Ich hab mich auch die ganze Zeit gefragt, wie man in einem Kirchturm unbemerkt mit einer Fex arbeiten kann. Etwa Schalldämpfer? Dieser Teufelskerl!

      • Wer so dünnes Flex-Gesirre von droben vom Kirchturme erschallen hört, denkt sich, nu ja, da wird wohl was repariert. Wenn er überhaupt was denkt.

        – Oder es war wirklich der Teufel. Da gab es doch mal diese Geschichte mit dem Teufel und den drei goldenen Glocken, nicht?, die er zu einer einzigen Glocke gemacht hat in einer einzigen Nacht, weil da irgendwo ein Kreuzl drauf war. Was der Teufel nicht mochte, ja aus Gründen wahrscheinlich.
        Heißt, dass da in Schweringen ja noch die beiden anderen Glocken sein müssten, nicht?, denn das mit dem Teufel hat ja nicht gestimmt, denn kein Teufel macht ja sowas, zumal es ja höchstwahrscheinlich ohnehin keinen gibt usf., aber das mit den drei Glocken müsste dann stimmen. Messerscharf gefolgert. Die sind also da.
        Soll man sie dann doch einfach mal ersatzweise hinhängen.
        Zumal da wahrscheinlich auch diese netten Kreuzl drauf sind.
        Soll ja gut für den Klanggg sein, hört man.

    • Das muss eine, strategisch lang geplante, Aktion mit Schmirgelpapier gewesen sein. ;-P

      • Ja, die Schmirgler haben mit dem Bußschmirgeln vor dreiundsiebzig Jahren angefangen und sind erst jetzt fertig geworden.
        Soll nochmal einer behaupten, dass man in Schmeringen nicht gut in Strafarbeiten sei.

  5. Außenminister Maas sollte auf der nächsten Glocke draufstehen.
    Hm, warum?, tja, pardon!, das kann ich grad nicht ganz begründen. Wohl weil man irgendwie an den Außenminister Maas denkt, wenn von einem verblichenen Hakenkreuzl die Rede ist, aber dafür spricht ja im Grunde auch nichts, weil man so eines auf dem Außenminister Maas ja kaum sieht. Also kaum je. Weswegen aber wohl auch nichts dagegen spricht. So.
    Weswegen sein Name ja nun wohl doch auf die Glocke gehört. Maßvoll selbstverständlich.

Kommentarfunktion ist geschlossen.